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Europas Sturz vom Olymp

Jules Francois-Savinien Lemarcou
Einer für alle, alle für einen... War das nicht das Motto, das Alexandre Dumas seinen vier Musketieren unterschob? Nun, Frankreich gilt als einer der Motoren für die europäische Einigung. So ist es wohl nicht verwunderlich, dass sich diese Devise der Weltliteratur zum Fundament der Europäischen Union mauserte. Alles in allem sicher ein Grund zum Jubeln, nicht wahr. Als die Maastricht-Verträge unter Dach und Fach waren, fühlte man sich im guten, alten; absaufenden Abendland wieder ein wenig geborgener. Die sich seit Jahrtausenden untereinander zerfleischende kleine Halbinsel am Westrand Asiens namens Europa hatte die Zeichen der Zeit offensichtlich erkannt. Noch einmal wollte man die katastrophalen Fehler der Zeit vor achthundert Jahren wohl nicht wiederholen, als Asien erstmalig vorbeischaute, um zu sehen, was aus dem Okzident herauszuholen sei. Wir erinnern uns: Zu Hunderttausenden fielen die mongolischen Horden über das wehrlose Europa her, als selbst gewaltige europäische Heerhaufen gerade mal ein paar tausend Krieger zählten. Mit welchem Todesmut, mit welchem Wahnsinn stellte sich der fromme Schlesier-Herzog Heinrich II. am 9. April 1241 den östlichen Horden bei Liegnitz entgegen! Quam frustra et murmure quanto, hätte Kardinal Mazarin ausgerufen, was für ein Aufruhr und wie vergeblich! Nun kommen die Asiaten nicht mehr auf ihren flinkfüßigen Pferdchen aus der Steppe herangetrabt. Sie bleiben im Zeitalter der Globalisierung schön in Asien sitzen und lassen eine vernetzte Kommunikation die Arbeit der gefürchteten Bögen ihrer Krieger-Vorfahren tun. Die Märkte sind vergleichsweise von ebenso gewaltiger Überlegenheit wie ehedem die Armeen des Ostens – wenn Asien den Staubsauger anwirft, dann verschwinden die Weltrohstoffressourcen und die Halbzeuge in einem malströmgleichen Strudel, der sie dem Zugriff des Westens entzieht, ihn gleichsam mit der Zeit zu dem degradiert, zu dem der Westen in seiner Blütezeit einst seine Kolonien deklassierte: Rohstofflieferant und Absatzmarkt für billigen Plunder.
Das scheint man also westlich des Bug begriffen zu haben. Und man scheint sich nach den Erfahrungen der großen Kriege des zwanzigsten Jahrhunderts, also zu einer Zeit, als sich noch jede einzelne der europäischen Großmächte für eine unabänderliche Supermacht hielt, welche die Zukunft bis ans Ende der Welt gepachtet hat, eines Besseren besonnen zu haben. Vielleicht ist die Erkenntnis gereift, dass die vorgeblichen Herren der Welt, die es sich in ihrer Dekadenz leisten konnten, sich im Zank um die Rohstoffquellen gegenseitig das Jackstück vollzuhauen, eher Streichhölzchen glichen, die im Wandel der Epochen an einer Krankheit litten, die man als nationale Osteoporose bezeichnen könnte. Gerade der Verlust der kolonialen Imperien schien diesen Geistesblitz wundersam befördert zu haben. Nun, da die Kulis von einst den Spieß umzudrehen und die Rolle der Vandalen und Goten von einst zu übernehmen begannen, ging Europa der Seifensieder auf, dass man die morschen Knochen bündeln und fest zusammenbinden müsse, wolle man dem Sturm aus Asien auf die nächsten Jahrzehnte hinaus noch Paroli bieten. Das aber bedeutete eine Gemeinschaft auf Gedeih und Verderb. Der Gedeih war zunächst gar nicht so übel: Zollfreiheit, ungehinderter Warenaustausch, Freizügigkeit – und vor allem eine gemeinsame Währung brachten wieder etwas Schwung in den Laden. Nach der globalen Krise aber zeigt sich die Kehrseite der Medaille: Die Wiege der Demokratie, das Land der Hellenen säuft ab. Und da sich die europäischen Staaten alle fest aneinander gekettet haben, drohen sie wie die Lemminge mit in den Abgrund zu torkeln. Es gibt nur die Möglichkeit, wie bei einer Seilschaft den abgestürzten Kandidaten abzufangen und wieder über den Rand der Klippe zu ziehen – es koste, was es wolle. Und das wird kosten, Gott im Himmel! Es wird möglicherweise so teuer, wie früher ein innereuropäischer Krieg. Diese Kohle, die da verpulvert wird, schwächt die Alte Welt weiter und wird die Asiaten wieder etwas verbindlicher lächeln lassen. Was Griechenland selbst betrifft – das Land unter dem Olymp ist, wie wir schon erwähnten, die Wiege der europäischen Demokratie! Aber in den siebziger Jahren war Griechenland auch ein Hort des Faschismus blutigster Prägung. Faschismus blüht immer dort, wo die Leute nichts zu beißen haben. Der jetzige Staatsbankrott winkt schon mit einem Zaunpfahl in diese Richtung. Wird Griechenland am Ende zum ersten Totengräber der europäischen Werte? Das wäre ein wahrhaft tragischer Treppenwitz der Geschichte. Wir wollen es nicht beschreien.
Wäre es besser, Asien nähme aufs neue Anlauf und galoppierte dieses Mal bis zum Atlantik durch? Dass Kulturen überrannt wurden und sich komplett neu orientieren mussten, wollten sie überleben, ist in der Geschichte der menschlichen Zivilisation kein Novum. Man denke nur an die amerikanischen Ureinwohner von Alaska bis Feuerland. Tief in den Seelen der Abendländer schlummert greifbar diese Urangst. Man denke doch an all den Hollywood-Mist, der sich mit der Invasion von Außerirdischen befasst, die mit den Neuamerikanern genau dasselbe anzustellen trachten, was diese einst mit ihren Indianern trieben. Das sind Gestalt gewordene Urängste! Aber es wären keine Aliens, die Merry Old Europe vernaschten, es wären Asiaten. Buddhistisch, taoistisch, konfuzianistisch... egal, sie würden drei Jahrtausende christlich-jüdischen Kulturkreis hinwegspülen wie eine trübe Brühe. Die Kathedralen von Speyer und Chartres würden sich wohl in kleine Attraktionen chinesischer Disneylands verwandeln und die Menschen des Abendlandes sollten beizeiten die Mentalität von Ameisen entwickeln, von Bienen und Ratten, bei denen der Staat alles, das Individuum aber gar nichts zählt. Ade, hellenistisch-demokratiegeborene Menschenrechte! Lebt wohl, cartesische Philosphie und Kant'sches Tugendideal! Wäre das so schlimm? Nur für die Europäer, die sich in all ihrer Verwöhntheit und Dekadenz eine Anpassung beim besten Willen nicht vorzustellen vermögen. Die Asiaten leben schon sehr lange – und wie man sieht, recht erfolgreich mit diesem Gesellschaftsmodell, was den Anforderungen der Evolution weit effektiver Rechnung trägt, als unsere nur als Luxus zu bezeichnende Gefühlsduselei, die sich aus dem abendländischen Ethos herleitet. Luxus aber, das hat dieses Attribut so an sich, ist etwas, was von vielen bezahlt und per se nur von wenigen genossen wird. Frage: Wie lange lassen sich die Vielen das gefallen? Nein, wir wollen nicht zu Papa Marx abgleiten. Dennoch, so ganz unrecht hatte der Mann sicher nicht. Das also ist das Menetekel, das die griechische Finanzapokalypse dem Rest der Alten Welt an die paneuropäische Wand malt. Gibt es noch eine Alternative? Sehen wir zu schwarz? Wer weiß! Die Zukunft wird es lehren. Sicher ist nur, was die BBC bereits mit dem Titel einer ihrer fulminantesten Serien aus dem Jahre 2002 ankündigte: Die Zukunft wird wild!

16. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
16.02.2010