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Arbeitslosigkeit vor Ort

Don M. Barbagrigia
Immer wieder entstehen Artikel für den Landboten in der Abgeschiedenheit der Redaktionsstube. Dieser nicht! Dieser wurde vor Ort geschrieben. In den Hallen eines deutschen Arbeitsamtes. Wir wollten wissen, wie sich die immer schlimmer um sich greifende Rezession bei denen darstellt, die am Ende der Wirtschaftskette stehen.
Der Warteraum eines Arbeitsamtes bietet einen guten Querschnitt für unsere Beobachtung. Was den Anwesenden gemein ist, ist sicherlich die bedrückte Stimmung, die alles dominiert. Nur wenige, Berufsarbeitslose sozusagen, deren Große Mutter durchaus die Sanctissima Stultitia ist, strahlen eine Art professionelle und durch nichts zu trübende Heiterkeit aus. Na ja, sagen wir: fast nichts. Denn, laß sie mal eine Woche zu spät ihre Stütze kriegen, dann ist Polen aber offen! Ansonsten begreifen sie den Wartesaal des Arbeits- oder Sozialamtes auch schon mal als eine Art verlängertes Wohnzimmer.
Diese sind es auch, von denen die Rede geht, wenn man die arbeitsscheuen Elemente meint. Leute, die man zu gemeinnützigen Arbeiten heranziehen will, weil ihr Schmarotzertum nicht länger zu bezahlen ist.
Dann sitzen da auch andere. Man sieht ihnen an, daß sie ihre Jugend versaubeutelt haben. Sind dem Vergnügen hinterhergesprungen. Etwas lernen, danach stand ihnen nicht der Sinn. Mit Fleiß, Ausdauer oder Disziplin hätte man sie erschlagen können. Das war was für die anderen, die Doofen, die Streber. Die haben jetzt Arbeit. Sitzen womöglich auf der anderen Seite des Tresens, vor dem sie nun stehen und Formulare entgegennehmen, deren Sinn sich ihnen verschließt. Auf den Diskos, auf denen sie gestern noch den Ton angaben, werden sie nun mit Opa angeredet. Wo sollen sie jetzt noch hin?
Diese Klientel wird wohl das Gros der Bittsteller ausmachen, die die täglich anschwellende Flut der Arbeitslosen bilden.
Und dann finden wir noch die, deren Gesichtszüge deutlich verraten, wie peinlich es ihnen ist, in einem Arbeitsamt zu sitzen. Jahrelang haben sie sich krumm gemacht für ihren Laden. Dann ist der den Bach runtergegangen, der Chef ist mit der Kasse durchgebrannt, hat die letzten drei Ausschreibungen verloren, hat die Außenstände nicht mehr rechtzeitig eintreiben können, oder auch alles zusammen. Fakt ist, die Bude ist dicht und sie sind draußen! Und jetzt sitzen sie hier. Und wissen im Prinzip, daß sie keine Chance mehr haben. Sind über Vierzig. Ihre Branche steht eh schon auf wackeligen Füßen. Wer gibt heutzutage noch Geld aus? Sie würden gerne arbeiten! Aber es gibt nichts. Sie haben sich Achtung erworben in einem langen Berufsleben. Brauchten ihr Licht nicht unter den Scheffel zu stellen bei Verwandten und Freunden. Und nu? Arbeitslos biste? Du armet Schwein. Na Kopp hoch! Wird schon wieder! Gar nichts wird wieder. Und sie wissen es. Eventuell werden sie schon in den nächsten Tagen mit einer Putzkolonne ausrücken müssen, mit den Hallodris da gegenüber, und sie werden Zigarettenkippen und Bierbüchsen und weggeworfenes Bonbonpapier auflesen müssen in öffentlichen Grünanlagen. Und werden nicht wissen, wo sie sich vor Scham verkrauchen sollen, wenn sie am Ende des Weges die Schwägerin in Begleitung des Neffen auf sich zukommen sehen. Oder die Schwiegereltern. Das ist Arbeitslosigkeit für solche Menschen. Das und zusehen müssen, wie andere morgens zur Arbeit gehen, während sie zu Hause sitzen müssen. Wie die anderen sich von dem erarbeiteten Geld etwas kaufen können in der Stadt, während sie nur die Auslagen ansehen können.
Arbeitslosigkeit ist eine fürchterliche Geißel für alle nichtasozialen Menschen. Sie macht krank - nicht nur die Menschen selbst, sondern die gesamte Gesellschaft. Und eine kranke Gesellschaft ist ein hochexplosives Sprengstofflager. Das wissen wir aus der Geschichte.
Vielleicht ist es eine sehnsuchtsvolle Utopie. Aber ein kluger Kopf aus der Bevölkerung, ein ebenfalls arbeitsloser Versicherungskaufmann, sagte jüngst: In unserer Gesellschaft werden die Werte kaum noch aus der Produktion geschöpft sondern mehr und mehr aus dem Kapital. Diese Entwicklung wird von vielen als fatal begriffen. Sie muß korrigiert werden. Der persönliche Einsatz muß wieder etwas gelten. Wenn die Globalkapitalisten mit ihren Milliarden unbedingt Monopoly spielen wollen - sollen sie. Gebt Ihnen Monopoly-Geld oder virtuelle Dollars, Franken, Euro, Yen in die Hand und laßt sie diese hin und her schieben. Aber bewahrt um Gottes Willen einer Nation eine Nationalökonomie. Es ist egal, ob diese Nation Deutschland, Estland, Frankreich oder Europa heißt. Aber die Werte, die von den Händen der arbeitenden Bevölkerung geschaffen werden, dürfen nicht einfließen in irgendwelche imaginären Geldströme, die als seelenlose Beträge von solchen Hasardeuren wie Nick Leeson vernichtet werden. Das muß das Hauptanliegen unserer Zeit sein. Alles andere ist Kosmetik.
2. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2004