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Unter den Brücken
ein cineastisches Meisterwerk von Helmut Kräutner aus den letzten Kriegstagen

für J. F.

Kotofeij K. Bajun
Wenn doch bloß dieses Wort "eigentlich" nicht wäre! Aber es ist nun mal in der Welt, also müssen wir ihm Gerechtigkeit widerfahren und es zur Geltung kommen lassen. Also ... eigentlich ist es eine banale Liebesschnulze mit trivialer Handlung und eigentlich würde das keinen Landboten-Hund hinter dem Ofen hervorlocken.

Jedoch die Verwendung des Wortes "eigentlich" impliziert, dass es denn doch nicht so ist, wie es den ersten Anschein hat.

In Wahrheit ist diese Schnulze ein hochkarätiger Streifen, der zweifelsohne zu den wichtigsten Filmen der deutschen Zelluloid-Geschichte zählt. "Unter den Brücken" wurde von April bis Oktober 1944 von Helmut Kräutner gedreht. Zu diesem Zeitpunkt versuchte Reichspropagandaminister Goebbels das untergehende deutsche Volk mit "Kolberg" auf's Durchhalten und den Endsieg einzustimmen. Veit Harlan hatte ihn zusammengezimmert, Heinrich George und Reichswasserleiche Kristina Söderbaum gaben sich als Bürgermeister Nettelbeck und Maria für diesen Schinken her. Huach!

Die Besetzungsliste von "Unter den Brücken" liest sich da schon um einiges hochkarätiger. Carl Raddatz und Hannelore Schroth, Gustav Knuth und Hildegard Knef, und die damals schon betagte Margarete Haagen brillieren in ihren Rollen. Und das sagen wir nicht einfach so dahin. Der Film, so seicht seine Handlung auch oberflächlich gesehen sein mag, ist durchkomponiert – eine Symphonie in schwarz-weiß. Gerade der Verzicht auf Agfa-Color verdichtet die Atmosphäre des Binnenschifferalltags auf der Havel packend und mitreißend.

Ja, es ist eine Dreiecksgeschichte, und wie Frau Emmi Müller aus dem Dorfe W., Kreis Zauch-Belzig, noch kurz vor dem obligatorischen Ausgang eines solchen Filmes zu sagen pflegte: "Goah man schon in't Bette sloapen! Die lieben sich – die kriegen sich ... det kannste jewiss sein!" Na, und so ist es auch. Warum wir den Film dann nicht gähnend verreißen, wie so viele andere seines Genres auch?

Die Antwort liegt in den Bildern, in der genialen Besetzung, in den auf weitläufige Schwafelei verzichtenden, authentischen, anrührenden Dialogen voller Herz, Poesie und Wahrhaftigkeit. Nicht dein einziges mal überschreitet Kräutner die Grenze zum Kitschigen. Nicht ein mal! Addiert man jetzt noch die historischen Umstände hinzu, welche die Entstehung des Films begleiteten, dann gewinnt der Streifen bis in lichte Höhen! Da ließ Kräutner idyllische Landschaften leise sprechen, obwohl sowohl die Rote Armee und die Alliierten Truppen bereits auf Reichsgebiet operierten. Die Berliner Aufnahmen sind zwar spärlich. Was Wunder! Lag ja vieles bereits in Trümmern. Nur einmal blitzt für einige Zehntel Sekunden eine zerstörte Häuserzeile am Schiffbauerdamm hervor. Die Brücke, auf der gedreht wurde, bekam kurze Zeit später einen Volltreffer und wurde nie wieder aufgebaut. Überhaupt – die Brücken … Kräutner sagte später, man habe dort gedreht, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass viele dieser Bauwerke bereits mit Sprengladungen versehen gewesen sein. Unwillkürlich drängt sich die Erinnerung an Gustav Schwabs Reiter vom Bodensee auf.

Eine weitere ganz große Leistung des Films: Kräutner lässt das Propagandaministerium aber sowas von komplett wegtreten. Nur eine einzige Uniform ist für die Dauer eines Wimpernschlages zu sehen – und dabei handelt es sich um die eines Schutzmannes. Parteiabzeichen? Nicht eines! Parolen? Fehlanzeige. Martialisches Gedöns? Nicht die Bohne. Und so kam es denn auch, dass der Film nur ein Jahr nach Kriegsende in Locarno unbehelligt zur Uraufführung kam.

Der Film und seine Mimen sind derart gut, dass die Schaupsieler von Rechts und links wegen nie wieder eine andere Rolle hätten annehmen dürfen. Sie wären als ein Teil eines Mysteriums, eines Feenreichs inmitten der Mark, mitsamt ihrem Streifen auf den Olymp entrückt worden. Geheimnisvoll und sehnsuchtsgeladen. Aber es ist schon klar! Die Leute waren Schauspieler und mussten leben.

Wenn es noch ein Charakteristikum gibt, das "Unter den Brücken" zu einem Ereignis erhebt, wohltuend distinguiert von all dem süßlichen Quatsch, der in den frühen Fünfzigern die deutsche Heide und den deutschen Wald über die Leinwände jagte, von all den väterlichen Industriemagnaten und ihren blitzsauberen Töchterleins, von all den artigen Galanen dieser Höheren Töchter ... dann ist es in dieser Aussage zum Ausdruck gebracht: "Unter den Brücken" ist ein Film, der eine Seele hat!

Zweiundsiebzig Jahre ist das alles nun her. Die überragenden Protagonisten deckt längst der Sand. Aber da ist das Geländer der Glienicker Brücke! Es ist da, und man kann es anfassen. Man kann wieder auf der Brücke stehen und hinuntersehen ans Glienicker Ufer, dort, wo die Schute lag und das Schilf im nächtlichen Windhauch seine verträumte Musik machte, begleitet von einem kleinen Frosch, der ins Wasser hüpft und dem Glucksen dieses Wasser im Uferbereich. Das alles ist plastisch greifbar. Hier waren sie ... Und dank dieses Kräutnerfilms sind wir dabei gewesen, ein Teil der Erzählung. Und hoffentlich "ha'm se nach'm Happy-End, nach dem jewöhnlich abjeblendt' wird",, wie unser Schutzheiliger St. Kurt dichtete, nicht die Milch verschüttet. Wir wünschen es Hannelore Schroth, ihrem Raddatz und dem hühnenhaften Gustav Knuth und natürlich – uns!

 
B
12. Volumen

© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2012

21.04.2016