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Watt ‘ne völlig abjewichste Sau!
Eine Hommage an die Fußballnationaltorhüterin Ann-Katrin Berger

Akinokawa Michi san. Pritzerbe. Ein infernalisches Gebrüll, ja beinahe Gekreische ließ die Luft in der Redaktion erzittern. Für einen kurzen Augenblick schien die Mattscheibe des riesigen Fernsehmonitors Wellen zu schlagen. „Dett jibbet doch jar nich. Watt is denn det für’ne völlig abjewichste Sau!“ Herr Bajun zuckte zusammen. … drehte sich um. Doch die Stimme des Brüllers war so hysterisch umgeschlagen und vermischte sich mit dem Getöse der anderen Brüller, dass dieser Ausruf keiner bestimmten Person zuzuordnen gewesen wäre.

Bajun, Judoka – kein Fußballer und deshalb während der Übertragung von Fußballspielen eher unaufgeregt, war erschüttert und entrüstet: Wie kann man eine so hervorragende Sportlerin, Fußballerin und Torhüterin eine „Sau“ nennen! Als ob das noch nicht reichen würde – diesen Begriff attributierte der Schreihals auch noch mit dem äußerst vulgären Begriff „abgewichst“. Frau Berger ist eine Torhüterin, deren Kunst sich mit der eines Kahns, Neuers oder Buffons in jeder Hinsicht messen kann. Sie zählt zu diesen Granden - sie spielt in deren Liga. Sie ist eine ganz Große in ihrem Gewerbe.

Nachdem sich die Schockstarre gelegt hatte, begann es in Herrn Bajuns Hirn zu dämmern, dass die unglückliche Titulierung eine unbeholfene Auszeichnung gewesen sein könnte und zwar eine, welche die Ehre einer „Sportlerin des Jahres“ zu einem banalen Schulterklopfen degradiert.

Sicher, jegliche Art von Streß beansprucht das Recht, sich irgendwie, und sei es eruptiv, zu entladen. Wollen wir also gnädig sein, wenngleich es Herrn Bajun im ersten Augenblick schon aus ritterlichen Erwägungen heraus gehalten zu sein schien, den Krakeeler in die Schranken zu fordern.

Was war geschehen? Bei den Olympischen Spielen in Paris rangen die Frauen-Fußballmannschaften Deutschlands und Spaniens um die Bronzemedaille. Die deutschen Kämpferinnen führten bis zum regulären Spielende gegen die Spanierinnen mit 1:0. Auf die neunzig Minuten Spielzeit wurden sieben Minuten Nachspielzeit addiert. Auch in der Verlängerung konnten die Teutoninnen ihr Tor sauber halten. Nicht zuletzt war dies über die gesamte Partie hinweg auch das nicht unerhebliche Verdienst von Frau Berger.

Dann aber, in den letzten zehn Sekunden vor dem endgültigen Abpfiff – der Kommentator schwadronierte bereits von der Reise der Damen nach Paris, um die Bronzemedaille in Empfang zu nehmen – da kämpfte sich eine Spanierin in den deutschen Strafraum vor und wagte einen finalen Angriff auf den deutschen Kasten.

War es die pure Verzweiflung, das berüchtigte „alles-auf-eine-Karte-setzen“, welches eine deutsche Kontrahentin veranlasste, in die Spanierin hineinzugrätschen? Der Elfmeter folgte auf dem Fuße. In den letzten Sekunden.

Haare raufen! Wangen zerkratzen! Irgendjemand drückte dem Redaktionseleven die Hand an den Knöcheln zusammen, dass dieser aufschrie wie ein angeschossener Wolf. Niemand nahm das zur Kenntniss. Sie litten alle.

Über diesen Hohn des Schicksals standen den Zuschauern in der Redaktion des Landboten alle Schrecken dieser Welt ins Gesicht gemeißelt: So was konnte doch gar nicht sein. So etwas gibt’s doch gar nicht! Das durfte nicht einfach nicht möglich sein, dass die Spanierinnen binnen der buchstäblich letzten zehn Sekunden, z e h n S e k u n d e n !!!, das Spiel noch kippen. Stöhnen, Röcheln, desperates Gegrunze ..., die spanische Kapitänin sollte verwandeln. So sieht das Drehbuch eines Horror-Klassikers aus. Kollektiv zu Berge stehende Haare. Selbst die Perücken machten da keine Ausnahme.

Keine zehn Sekunden vor dem finalen Abpfiff! Die Nerven fuhren mittlerweile auch für einen gestandenen Einzelkämpfer wie den Judoka Bajun Achterbahn. Da standen sich die beiden Amazonen gegenüber. So muss es vor dem O. K. Corral ausgesehen haben. Genauso so. Frau Berger aber war Doc Holliday und Wyatt Earp in einer Person. Der Spanierin hingegen sah man die Angespanntheit, den enormen Druck und die Nervosität ins Gesicht geschrieben.

Es war dieselbe Nervosität, die auch von uns Besitz ergriffen hatte. Nur eine bleib eiskalt und unbeweglich. In diesem riesigen Tor, zwischen dessen weißem Strich und dem Ball auf der Elf-Meter-Linie nur sie stand. Sie allein. Und nur sie!

Die Spanierin war keine Anfängerin. Auch sie beherrschte den Ball. Anders hätte sie es wohl kaum in die spanische Fußballnationalmannschaft geschafft. Und Kapitänin wird man im Land der Stiere auch nicht durch amateurhafte Stümperei.

Die Spanierin nahm Anlauf und ... zog ab. Der Ball raste wie eine Kanonenkugel durch die Luft. Frau Berger aber, Ann-Katrin Berger, nahm diesen Ball wie ein Weihnachtsgeschenk entgegen. Er flog ihr vor die Brust, als hätte er keinen anderen Bestimmungsort vom Tage seiner Fertigung an gehabt. Sie fing ihn, als wäre er ihr von einem achtjährigen Schulmädchen zugeworfen worden.

Die ersten Redakteurs kippten in Ohnmacht. Wer in diesem Moment den Stolitschnaja klar gemacht hatte, konnte hinterher nicht mehr ermittelt werden. Fakt war, dass die edle Wodkapulle vorher noch zu drei Viertel voll war und sie der Täter in einem Zug ausgesoffen haben muss – das Vieh!

Was für ein erlösender Moment! Was für eine Zentnerlast, die vom ansonsten vom Fußball relativ unberührten Herzen abfiel. Nicht dass wir sonderliche Patrioten wären. Nein, gewiss nicht. Preußen ist Nationalstolz fremd. Wenngleich es uns freut, dass die deutschen Fußballdamen wieder einmal an deutscher Ehre retten, was von der evenuell noch zu retten ist.

Die Frauen sind vielleicht sogar für die deutsche Wirtschaft im Niedergang die letzte Hoffnung.

Als aber das unbewegliche, beinahe teilnahmslos wirkende Gesicht der Ann-Katrin Berger Sekunden vor diesem Torversuch noch einmal vor unserem Auge Revue passierte, da wurde uns schlagartig klar, was jener außer Kontrolle geratene Fan an unserer Seite zum Ausdruck bringen wollte, als er – wahrscheinlich in einem Augenblick der entschuldbaren Unzurechnungsfähigkeit – brüllte: „Watt ‘ne völlig abjewichste Sau!“

Ein solches Prädikat verdient weiß Gott nur jemand, der über Nerven wie Stahltampen verfügt. … und über die geniale Intuition zu wissen, wohin der Ball ziehen wird, lange bevor die Schützin es selbst auch nur ahnt. … die keine Sonnenbrille für das perfekteste Pokerface aller Zeiten benötigt. … die mit allen Wassern gewaschen ist. Eine Ann-Katrin Berger eben.

Ja, vergiss die „Sportlerin des Jahres“ – fortan lautet die höchste Auszeichnung des Preußischen Landboten für geniale Spitzensportler: „Watt ‘ne völlig abjewichste Sau!“

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11.08.2024