zurück 
        zur Stammseite "BÜCHER" 
      
       | 
     
        The House of God 
           by Mr. Samuel Shem (Stephen Joseph Bergman) 
         
      K. K. Bajun 
        Die Rezension basiert auf der amerikanischen Originalausgabe. Obgleich 
        wir dem Übersetzer ins Deutsche große Sorgfalt, Mühe und 
        Texttreue bescheinigen, gelangten wir zu der Auffassung, daß die 
        deutsche Edition dem Original nicht gerecht wird. Sie ermangelt der Spritzigkeit 
        und des teilweise rabenschwarzen Humors, der einmal wortgetreu ins Deutsche 
        übertragen seine durchschlagende und doch geschmeidige Wendigkeit 
        in hohem Maße einbüßt. Wir empfehlen daher unbedingt, 
        wenn möglich, die Lektüre der amerikanischen Ausgabe. 
      Das Buch "The House 
        of God" entführt uns in ein amerikanisches Krankenhaus an der 
        Ostküste, dem in Wirklichkeit existierenden Beth Israel Hospital, 
        im Boston der Jahre 1973/74. Ein junger Mediziner, der dreißigjährige 
        Roy G. Bash, der soeben sein Studium absolviert hat, schickt sich an, 
        sein "Internship" anzutreten. Dieses Assistenzjahr ist dem deutschen 
        AiP vergleichbar. 
         
        Das amerikanische Ausbildungssystem läßt also die jungen "Interns", 
        die von den medizinischen Schulen kommen, praxisnah unter Anleitung eines 
        sogenannten "Residents" am Krankenbett für ein Jahr Erfahrungen 
        sammeln. Während dieses Jahres werden die jungen Doktoren auf Herz 
        und Nieren, Kenntnis und Stehvermögen geprüft. Sie werden quasi 
        an vorderster Front eingesetzt und gnadenlos verschlissen. Erst mit bestandener 
        Feuertaufe können sie im nächsten Jahr selber auf ein "Residentship" 
        hoffen. 
         
        Mehrere junge Burschen also, alles Abgänger von Eliteschulen, treffen 
        sich nach Ablauf ihrer Sommerferien im House of God, einem mit der Harvard-Medical-School 
        assoziierten Lehrkrankenhaus. Voller Enthusiasmus und Neugier auf das 
        Kommende treten sie ihren Dienst an, nicht im Entferntesten ahnend, was 
        dieses Jahr für sie bereit halten wird. 
         
        Denn die notorische Konfrontation mit dem Leid, den unvermeidlichen Gebrechen 
        des Alters, der Verdunkelung des Geistes im Greisenstadium und dem immer 
        und jederzeit präsenten Tod reißt sie schnell aus ihren Illusionen 
        und läßt sie in einem nicht enden wollenden Albtraum erwachen. 
        Um sich dieses Schreckens zu erwehren, flüchten sich die jungen Männer 
        in einen beispielslosen Sarkasmus. Zynismus setzen sie gegen die Unerträglichkeit 
        des beruflichen Alltags. Sie kämpfen letztendlich selbst ums eigene 
        nackte Überleben. Einer von ihnen wird es nicht schaffen. Andere 
        deckeln sich zu mit kalter Professionalität. 
       Sie saufen, stürzen 
        sich mit Krankenschwestern in sexuelle Exzesse. Doch wie auch immer: Es 
        gelingt niemandem, seine ursprüngliche Menschlichkeit zu bewahren. 
        Keine Strategie erweist sich als tragfähig. Der Dienst am alten und 
        kranken Menschen verändert die, die noch eben saft- und kraftvoll 
        im Leben standen. Er macht sie zu seelischen Wracks, zu Ersaufenden, die 
        am Ende selbst um Erbarmen brüllen und erkennen müssen, daß 
        sie, wollen sie überleben, nur Hilfe von sich selbst zu erwarten 
        haben. 
         
        Hier ersäuft vor unseren Augen auch die franziskanische Idylle des 
        aufopfernden, für jede Möglichkeit zur tätigen Nächstenliebe 
        dankbaren Krankenpflegers. Aus den maladen Alten werden Gomers (get out 
        of my Emergency Room! - 'raus aus meinem Schockraum!), die nur ein Bestreben 
        kennen: Gomers go ground! (Gomers fallen immer aus dem Bette!). Sie werden 
        zu Kartoffeln, mit denen man eine Art Krankentennis gegen eine "Wand" 
        spielt. Die Wand ist man als Aufnahmedoktor selbst. Ziel ist es, eine 
        stationäre Aufnahme des Patienten zu verhindern - "buffing and 
        bumping" nennt sich das Spiel. Das Übel der Abbreviaturen, das 
        besonders gut gedeiht, wo die menschliche Hilflosigkeit sich ausbreitet, 
        wuchert durch das Buch und den fast kodifiziert anmutenden Sprachgebrauch 
        des medizinischen Personals untereinander.  
      Statt beispielsweise 
        der alten Dame Mrs. Miller haben wir es mit einer LOL in NAD (little old 
        Lady in no apparent distress - kleine alte Dame mit offenbar gar nichts) 
        zu tun, die der Rasse der WASPs (white anglosaxon protestants (die amerikanische 
        Oberschicht) - weiße angelsächsische Protestanten) angehört. 
        Ihre endlos gebrabbelten Stereotypen sägen an den Nerven selbst des 
        Lesers. Man kann nichts Kurables an der alten Dame entdecken, also bekommt 
        sie einen TURF! Daß heißt, man will sie los werden und überweist 
        sie an einen anderen Spezialisten im Hause zur Weiterbehandlung. Soll 
        der sehen, was er mit ihr machen kann! Hauptsache, man selbst ist sie 
        los. Raus! Nur raus aus der eigenen Abteilung! Unmerklich nimmt Herr Shem 
        uns an die Hand und läßt uns zu einem beobachtenden Teil der 
        Handlung werden. 
         
        Und man begreift, wie sehr sich das menschliche Leid dafür rächt, 
        aus dem alltäglichen Miteinander ausgeklammert zu werden. Denn hier 
        und an dieser Stelle schlägt es mit unbarmherziger Wucht zurück 
        - eine Schneise hilfloser Verzweiflung hinter sich ziehend. Die Prinzipien 
        des Normalen, des gewohnten zwischenmenschlichen Umgangs versagen bei 
        der Konfrontation mit einer dementen alten Dame. Überzeugung und 
        Erklärung können hier nicht greifen. Ja, was denn dann? Ohnmacht, 
        stille Verzweiflung, aber keine Antwort! Nur noch Durchhalten. 
         
        Nichts ist mehr übrig von der schönen, sterilen und weißgekittelten 
        Welt der jungen, smarten Chef- und Oberärzte aus den Basteiromanen. 
        Den kleinen Schundheftchen, die die Augen alternder Damen zum Überlaufen 
        bringen und der schwellenden Brust den ein oder anderen Seufzer entlocken. 
        Dies hier ist die reale Welt der Medizin, die Welt der Krankheit, des 
        Pathologischen. Hier fließt Blut und Eiter, hier mischt sich der 
        Geruch von Erbrochenem mit dem von schweißigen Ausdünstungen, 
        Urin und Fäkalien. Welche Romanze sollte in diesem Gestank erblühen? 
        Die Leute im House of God sind wirklich krank! Nicht nur scheinkrank, 
        mit so einem klitzekleinen Wehwechen, das der Onkel Doktor, dieser Halbgott 
        in Weiß, gesund streichelt um sich danach unsterblich in seine rosig 
        genesende Patientin zu verlieben. 
         
        Liebe im House of God? Ja doch, gibt es auch. Aber wie gesagt, nicht diese 
        verkitschte, romantisch verlogene Amore mit dem schmalzigen Augenverdrehen. 
        Hier geht es meist um schnellen, harten Sex, der sich krachend und berstend 
        entlädt, der innigen Beziehungen keine Chance läßt, der 
        aber gleichzeitig die gequält kopulierenden Partner inniger verbindet, 
        mehr aneinander fesselt, als rosarote Basteiheftchen das je zum Ausdruck 
        bringen könnten. Trotzdem: die Gefühle sind verödet unter 
        der Last des allgegenwärtigen Grauens. Denn im House of God bewegt 
        man sich ständig in den Grenzbereichen des Lebens. Intersexuelle 
        Beziehungen haben hier nur mehr eine Ventilfunktion. 
         
        Denn in diesem Frontbereich ist nicht nur der Patient krank. Die ihm helfen 
        sollen, sind es auch. Sie erleiden gravierende Persönlichkeitsveränderungen, 
        wenn sie das House verlassen, sind sie nicht mehr dieselben, die sie waren, 
        als sie kamen. 
         
        Das Wort Frontbereich haben wir bewußt gewählt. Denn was wir 
        hier - glücklicherweise von außen - nachvollziehen, ist einer 
        Fronterfahrung durchaus vergleichbar. 
         
        Hier blühen keine Rosen, hier blühen Neurosen. Und das Zynischste 
        an allem: Während die Anfänger im Gewerbe mit dem Horror des 
        Alltags kämpfen, sind die Chefs, die es an die Spitze der Pyramide 
        geschafft haben, ausschließlich mit dem Abkassieren beschäftigt. 
        Für sie gibt es nur noch reiche Privatpatienten. Und deren Krankheiten 
        sind nichts anderes als eine Lizenz zum Dollardrucken. Und nichts anderes! 
        Hier wird eine Therapie nach der anderen verordnet, sinnvoll oder nicht, 
        ob es den armen Schweinen bekommt oder nicht, ganz egal - Hauptsache das 
        Geld klimpert hinterher in den Kassen. 
         
        Hippokrates? Der Eid? Das Ethos? Nihil nocere? Alles Quatsch! Draußen 
        vor der Tür, auf dem Parkdeck steht ein dicker Schlitten, der muß 
        abgezahlt werden. Die Alte zuhause braucht einen neuen Nerz. Die Party, 
        die man nächstes Wochenende geben will, kostet. 
         
        Wer das nicht begreift, der bleibt auf der Strecke. Wer das nicht akzeptiert, 
        geht früher oder später unter. 
         
        In seinem Vorwort zu diesem Buch schrieb der weltbekannte Schriftsteller 
        John Updike im April 1995, dieses Werk hätte dasselbe für die 
        Medizin geleistet, was das "Catch 
        #22" für das Militär getan hätte. 
         
        Diesem Urteil können wir uns getrost anschließen. Herrn Updike 
        ist es sogar zu danken, daß er das Standardwerk aller Enthüllungssatiren 
        von Joseph Heller zum 
        Referenzpunkt, ja, nachgerade zum Maßstab erkoren hat. 
         
        Denn besser, kürzer und prägnanter hätte er kaum auf den 
        Inhalt seines Proteges hinzuweisen vermocht.  
        Gerade unter Medizinern aller Art ist das "House of God" zu 
        einer Art Kultroman avanciert. Man hört allerorten: "Ja, so 
        ist es!" Nun, man sollte nicht vergessen, daß das "House" 
        mit einer stark karikierenden Feder gezeichnet wurde. Shem wollte aufmerksam 
        machen, überspitzen, erschrecken, aufrütteln.  
         
        Das "House" gibt Hinweise auf Tendenzen, die sich mit der zunehmenden 
        Weitung der Schere zwischen arm und reich auch hierzulande etablieren. 
        Betroffen sind alle. Auf beiden Seiten des Krankenbettes. Ärzte und 
        Patienten, Schwestern und Angehörige. 
         
        Seit dem letzten Kriege sind viele Unsitten über den Großen 
        Teich geschwappt. Das "House", geschrieben in den frühen 
        Siebzigern, warnte uns beizeiten. Es ist nicht geschrieben worden um dem 
        Leser als Spiegel des Selbstmitleids zu dienen. Es soll enthüllen, 
        Klarsicht verschaffen, desillusionieren. Es soll die Träumer an die 
        Realität heranführen. Darin liegt seine Hauptaufgabe. 
         
        Wie das Catch #22 ist 
        es dazu da, zu demaskieren und den Ernst des Lebens ins rechte Licht zu 
        rücken. Selbstherrliche Charaktere, die sich bei näherem Besehen 
        als armselige und kleine Wichte und Nieten darstellen, werden gnadenlos 
        vorgeführt - und das aus gutem Grund. Denn es ist nicht nötig, 
        ja, es ist sogar gefährlich, diesen dummen aber größenwahnsinnigen 
        Popanzen Respekt zu zollen. Holt sie von ihrem Postament, haut ihnen eine 
        runter und tretet ihnen in den Arsch! Laßt sie nicht den Ton angeben, 
        denn das haben sie sich nicht verdient.  
      Leute wie der Fat Man, 
        der Resident, der Bash durchs Höllenjahr führt, Leute wie Hellers 
        Yossarian, die sollen sagen, wo's langgeht! Denn in deren Brust schlägt 
        ein Herz, sie mögen zynisch einher kommen oder nicht. Sie sind die 
        wahre Bastion der wahren Menschlichkeit. Das sagt uns das "House 
        of God". Darum empfehlen wir es. Wir empfehlen es zu lesen. Wir empfehlen 
        es zu verstehen. Wir empfehlen, danach zu handeln! 
       
       |