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H. K. im Doppelpack –
Ein Vergleich zweier deutscher Gesetzesverächter

Jules-Francois Savinien Lemarcou
Wir schreiben das Jahr 1532. Ein märkischer Kaufmann und Roßtäuscher, dessen Initialen H. K. lauten, gerät in einen Streit mit einem gewissen Junker von Zaschwitz. Um zwei Pferde ging es, die der Junker unrechtmäßig einbehalten hatte und dann, als er sie nach längerer Zeit endlich herausrückte, als unbrauchbare und abgemagerte Schindmähren übergab. H. K. verdroß das sehr und er klagte. Doch ihm, dem Bürgerlichen, ward kein Recht zuteil in dieser Zeit, die noch sehr an ihrem feudalen Erbe trug. Nur sehr zögerlich und langsam setzte sich seit dem Aufkommen der Renaissance ein neues Menschenbild durch, das besagte, daß auch der Vertreter eines unadligen Standes ein vollwertiges Geschöpf Gottes sei, ausgestattet mit unveräußerlichen Rechten und einer gottgegebenen Würde. Es sollte noch über ein Vierteljahrtausend vergehen, ehe die französische Revolution diese Erkenntnisse mit Blut und Terror auf das Pflaster des Pariser Place du Greve schrieb.
Doch einstweilen wurde in einem durchaus rechtstaatlichen Verfahren dem Manne H. K. bedeutet, welche Position ihm zugemessen werde.
Zorniges Aufbegehren gegen dieses Unrecht keimte in dem stolzen Bürger auf. Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann? Das mochte er sich gefragt haben. Also sandte er dem Junker einen Fehdebrief – und mit ihm gleich dem ganzen Kurfürstentum Sachsen. Das war Herrenmanier. Das stand ihm nicht zu. Er verheerte die Ländereien seines Gegners und unbeteiligter Menschen. Sein Rechtsempfinden verkehrte sich in einen völlig überzogenen Rachefeldzug. Heute würden wir sagen, er schoß weit über sein Ziel hinaus. Das waren keine Emanzipationsbemühungen eines zu Unrecht zurückgesetzten Bürgers mehr, das war nur noch gekränkte Eitelkeit und maßlos ausgeuferte Wut über ein System, dem jede Legitimation abging.
Und was tat die märkische Obrigkeit, der H. K. untertan war? Nichts! Einen offenen Konflikt mit dem ungeliebten Nachbarn Sachsen scheute man. Aber der hier, der auf eigene Faust dem heimlichen Feinde ein paar empfindliche Nadelstiche versetzte, der paßte ganz gut ins Konzept. Man selbst konnte nicht verantwortlich gemacht werden – schließlich war der Terror des H. K. ja nicht „von oben“ angeordnet worden. Aber man konnte es getrost genießen, wenn die sächsischen Behörden schäumten, weil man selbst sich darauf beschränkte, die aggressiven Überfälle des H. K. verbal zu verurteilen, sonst aber recht gelassen an die Verfolgung des Täters ging. Das kam für die Sachsen einer offenen Ohrfeige gleich. Aber was sollte man machen? H. K. auf brandenburgisches Gebiet verfolgen? Das hätte einer feindlichen Verletzung fremdstaatlichen Territoriums entsprochen und das wiederum würde unweigerlich ernsthafte Konsequenzen nach sich gezogen haben. Und so trieb der zum Outlaw gewandelte H. K. sein räuberisches Gewerbe noch beinahe sechs Jahre ungehindert weiter. Seinem Treiben wurde erst ein Ende gesetzt, als der völlig freidrehende Mann auch noch die schützende Hand des eigenen Herrn zu beißen begann. Ein Überfall auf einen kurmärkischen Geld-Transport brachte die Wendung. H. K. wurde nach Berlin gelockt, verhaftet und wegen schweren Landfriedensbruches am 22. März 1540 qualvoll aufs Rad geflochten.
Eine Persönlichkeit, die sich ihrer gar zu bewußt war und darüber die gesunde Demut und Bescheidenheit vergaß, überhob sich am Ende weit über das Gesetz, das doch geschaffen war, der Gesellschaft eine lebensfähige Ordnung zu verleihen, scheiterte tragisch.
Nun haben wir aber im Titel versprochen, über zwei H. K.s zu reden. Wer ist denn nun der Zweite?
Nun, der andere ist ein Zeitgenosse der Gegenwart. Er stammt aus Ludwigshafen in Rehinland-Pfalz. Jeder von uns sollte ihn kennen, denn er spielte unter uns seinerzeit eine fürwahr gewichtige Rolle und berührte mit seiner überragenden Tatkraft die Biographie eines beinahe jeden Deutschen. Was für ein Mann! Was ihn mit seinem „Initialen-Vetter“ aus dem Märkischen verbindet, ist nicht nur der Umstand, daß beide zum Ende ihres Schaffens hin die eigene Ehre und Persönlichkeit über das allgemein verbindliche Gesetz stellten. Sie sind auch beide mit der Geschichte verbandelt. Der eine ist eine historische Figur, der andere hat Geschichte studiert und ist gelernter Historiker. Sogar promoviert wurde er. Wir können ihn also zur besseren Unterscheidung Dr.H.K nennen.
Dieser Doktor hat nun eine sehr arbeitsame und zielstrebige Karriere hinter sich. Referent eines Industrieverbandes war er, trat beizeiten einer bedeutenden Partei bei, die die Interessen der Großindustriellen auf ihre Fahnen geschrieben hat, machte in dieser Partei Karriere und brachte es letztendlich zu höchsten Würden und großem Ansehen.
Auf dem Weg dahin lernte er die Macht kennen, schätzen und lieben und vor allem – zu seinen Zwecken zu gebrauchen. Macht aber bedeutet immer auch: Geld. Eines ohne das andere ist kaum vorstellbar. Also mußte Geld ran.
Dafür, daß er aber die Interessen seiner Klientel auf der politischen Bühne erfolgreich verfechten kann, steuerten die „Begünstigten“ erhebliche Summen bei. Das nennt man Parteienspende. Nun ist eine solche Parteienspende an sich nichts Anrüchiges. Wird das Geld aber der Öffentlichkeit nicht angezeigt und versackt auf sogenannten schwarzen Konten, dann sollten in jeder Demokratie die Alarmglocken schrillen! Denn dann ist Gefahr im Verzug:
Wer gibt wieviel wofür? Was will er erreichen?
Läßt sich da etwa jemand von der Mehrheit des Volkes wählen, um nur die Interessen einiger weniger durchzusetzen? Womöglich noch gegen diejenigen, die ihn einst wählten?
Es ist klar, daß ein Rechtsstaat sich gegen solch ein Verhalten zur Wehr setzen muß - und zwar ohne Ansehen der Person. Schließlich haben wir ja den Feudalismus überwunden!
Justitia sollte auf beiden Augen blind sein. Ist sie aber nicht.
Aufgefordert, die heimlichen Spender zu benennen, schwieg unser Dr.H. K. beharrlich. Begründung: Er habe seinerzeit sein Ehrenwort verpfändet, die Namen der Geber nicht preiszugeben.
Als ausgewiesener Demokrat hätte er schon in der ersten Phase der Transaktion zu seinen Donatoren sagen müssen: „Liebe Kollegen, Parteifreunde, Sympathisanten, das widerspricht demokratischen Grundregeln. Entweder ihr gebt es unter Angabe des Absenders, oder ich darf, kann und will das Geld nicht annehmen!“ Indem er das versäumte, wurde er das erstemal straffällig. Indem er den ermittelnden Organen die Aussage rechtswidrig verweigerte, setzte unser Dr.H. K. noch eins drauf! Aber auch dagegen hat ein moderner Rechtsstaat seine Möglichkeiten. Beugehaft zum Beispiel. Doch diese Option verkam in unserem Gemeinwesen, das sich mehr und mehr an den Verhältnissen einer Bananenrepublik zu orientieren beginnt, zur blassen Theorie.
Man nahm Abstand. Der Staat, der einst von diesem Doktor geführt und geleitet wurde, läßt sich auf der Nase herumtanzen, vollzieht den Kotau vor einer Person, der er diese Unterwürfigkeit zu schulden glaubt. Das ist haarsträubend!
Denn, wo ein solcher Riß im Gefüge zugelassen wird, da ist dem Verfall bereits Tür und Tor geöffnet. Ausgehöhlte Konsequenz, allgemeingültiges Recht nur für niedere Chargen und Schichten – damit wird jedem der Gemeinschaft verpflichteten Rechtsbewußtsein zielgenau der Garaus gemacht.
Wir wollten vergleichen. Anfänglich hatten die beiden H. K.s nur ihre Initialen, ihre überregionale Nationalität und ihre bewußt gewählte Straffälligkeit gemein, die sie in Kauf nahmen, als sie ihrer persönlichen Ehre einen höheren Wert beimaßen, als den gesellschaftlichen Normen.
Ein Preuße kann das nicht verstehen. Hier gilt: Alles hat sich dem Wohl der Gemeinschaft bedingungslos unterzuordnen und selbst der „König von Preußen“ ist, wie es von Wolfgang Venohr so trefflich formuliert wurde, nur eine Institution, die dem Rechte- Kanon gerade so verpflichtet ist, wie der geringste Bürger. Dem Einwand, dieses Preußen existiere seit dem 25. Februar 1947 nicht mehr, begegnen wir lächelnd: In unseren Herzen löst niemand etwas auf, was für unser Dasein einen solchen Wert verkörpert. Das hat Bestand und wirkt weiter!
Gegen den märkischen H. K. hat sich letztendlich das Schwert Justizias gerichtet, als er einen bestimmten Punkt überschritt. Der große Alte aus Ludwigshafen dagegen blieb oberflächlich gesehen unbehelligt, obgleich der Schaden, den er zu verantworten hat, ungleich größer ist, als sein Vergehen: Er entlarvte die Institution des deutschen Rechtswesens als zahnlosen Papiertiger im Umgang mit den Mächtigen. Damit zerstörte er nachhaltig und in immensem Maße das Vertrauen der Bürger in den Rechtstaat, er unterminierte das Gefühl der Verantwortlichkeit, Ehrlichkeit und Offenheit dem Nächsten gegenüber, denn wenn ein Eminenter unmoralische Signale aussendet, warum soll dann der einfache Mann sauber und anständig durchs Leben gehen? Ein Vorbild kann stets zum Guten oder zum Bösen wirken.
Beide H. K.s haben in ihren Lebenswegen Großes geleistet – der eine hat dem Volke gezeigt, daß man sich um seiner selbst willen nicht jeder Willkür beugen darf, daß es Zeit ist, auf dem Wege zu einer gerechteren Welt die herrschenden Verhältnisse gründlich in Frage zu stellen und zu überdenken. Er bezahlte mit seinem Leben und einem grauenhaften Tod, weil er das Maß verlor. Der andere brachte mit enormer Tatkraft und viel Fortune den Deutschen nach vierzig Jahren der Trennung ihre Einheit zurück. Am Ende zerstörte er seine eigene Legende, weil er sich aus dem Gefüge seiner Selbsteinschätzung, die für die Erlangung und Behauptung seiner Position unerläßlich war, nicht mehr zu befreien vermochte. Schnöder „Bimbes“ brach einem Geist und Charakter von Format das Genick, ließ die Erinnerung an ihn vergrauen, ließ Zwerge den Weg fortsetzen, den er einst als Titan beschritt, ebnete, wies. Auch das eine Distinktion, deren Tragik einem die Tränen in die Augen treibt.
Hans Kohlhase und Dr.Helmut Kohl – zwei namhafte Deutsche, die uns lehren, daß Stolz, der sich zum Hochmut versteigt, die Wurzel des Unterganges birgt.
Der Vater der aufgeklärten abendländischen Medizin, Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt der Paracelsus, postulierte seinerzeit: Dosis facit venenum – die Menge macht, ob ein Stoff giftig sei. Diese Erkenntnis ist von wahrhaft universaler Bedeutung.

5. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2005