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Friedensfahrt 2005

Herr Herbrand (vordere Reihe links), Frau Oberbürgermeisterin Dr.Tiemann,  Herr Winreich jun.; obere Reihe von links : Herr Dirk Weinreich, Herr Hübner  und die Herrn Buchholz
Herr Herbrand (vordere Reihe links),
Frau Oberbürgermeisterin Dr. Tiemann, Herr Weinreich jun.;
obere Reihe von links : Herr Dirk Weinreich, Herr Hübner und die Herrn Buchholz
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K. K. Bajun
Nehmen wir mal an, Sie sind zwischen Elbe und Oder aufgewachsen und hören plötzlich das Wort „Friedensfahrt“. Ein „Friedensfahrer“ kommt in die Stadt! Gilt Ihr erster Gedanke da nicht Täve Schur und seinen Pedalrittern, die das Sportereignis „Friedensfahrt“ zu einem sozialistischen Gegenstück der Tour der France etablierten?
Erinnern Sie sich: Die Menschen waren buchstäblich aus dem Häuschen wenn es hieß: „Die Friedensfahrer kommen durch unsere Stadt!“ Sie säumten die Straßen, keine Partei mußte sie auf die Bürgersteige dirigieren. Sie jubelten, sie feuerten an, sie kannten die Namen derer, die da an ihnen vorbeirauschten und unterhielten sich am nächsten Tag am Arbeitsplatz und in der Schule über den jeweiligen Etappensieg. Das alles war echt. Die Begeisterung war ungekünstelt. Es hatte nur einen Haken: Der kalte Krieg, getragen von den gegensätzlichen Ideologien, ging ungebrochen weiter. Der eigentliche Sinn der Friedensfahrt konnte sich nicht in die Politik und das Miteinander der Menschen im Alltag übersetzen. Und so wurde dieses durchaus lobenswerte Ereignis zu einem überregionalen Sportfest degradiert.
Fünfzehn Jahre aber, nachdem sich die ehemaligen Ausrichter der Friedensfahrt längst in die politischen Systeme ihrer früheren Todfeinde integrierten, kam erneut ein „Friedensfahrer“ nach Brandenburg an der Havel. Einer? Ja, EINER, ganz allein, kein Rennrad aber dafür Satteltaschen, gehalten von Spanngummis, in denen Fahnen und Wimpel flatterten. „Was?“ werden Sie jetzt wohl fragen. „Ein Friedensfahrer allein, ohne Rennmaschine, ohne Begleitung, mit einem Haufen Gepäck? Ja, um Himmels Willen, gegen wen tritt der Mann denn an?“
Sag ich Ihnen. Er fährt nicht gegen die Stoppuhr, nicht gegen Sportkameraden eines gegnerischen Rennstalls – er fährt gegen Intoleranz und Unverständnis, gegen Krieg und völkermordende Dummheit. Er tritt in die Pedale, um den Leuten zu verkünden, daß es keine Ausländer gebe, sondern bestenfalls Nachbarn.
Winken Sie nicht ab! Das ist nicht „wieder so’n Wanderprediger, so’n Idealist, so’n heilloser Weltverbesserer“.
Hans Herbrand ist ein Sportler durch und durch. Und seine Botschaft lautet: „Wer nicht aktiv wird, der wird auch nichts verändern!“ Daß er nicht die Welt aus den Angeln heben wird, ist auch ihm klar. Aber er bewirkt, daß ihm die Leute hinterhersehen, an denen er vorbeifährt. Die Rechnung ist denkbar einfach: Radelt er über weite Strecken, so trifft er viele Leute. Unterschiedliche Leute. Menschen, aufgewachsen in ihren Regionen, geprägt von Anschauungen ihrer Nationen oder Nationalitäten, verhaftet in jahrhundertealten Traditionen. Und viele mögen darunter sein, die „dem Anderen“, der nicht denselben Erfahrungshorizont teilt wie sie, der unter anderen Weltbildern aufwuchs und dem andere Werte mehr bedeuten, mit Mißtrauen und Ablehnung und nicht zuletzt mit Aggression begegnen. Viele von denen, die am Straßenrand stehen und „sich nicht bewegen“ und auch im Urlaubsland kaum den Hotelbereich verlassen, werden noch immer neidisch auf das vermeintlich größere Glück des fernen Nachbarn achten, weil sie wohl seinen Erfolg, nicht aber seine Probleme erkennen.
Probleme, die sich oftmals gleichen. Probleme, die oftmals gemeinsam lösbar wären: Anlaß zur Verständigung, nicht zu Haß, Neid und Gewalt.
Das ist es, was der 61 jährige Hans Herbrand im Gepäck trägt, das ist die Ware, die er auf seinen Fahrten quer durch Europa feilbietet. Ein wahrer „Friedensfahrer“ also.
Seine geplant letzte Fahrt führte ihn nun am Donnerstag vor Pfingsten nach Brandenburg an der Havel. Von Magdeburg her auf der alten Fernstraße 1 kommend, errichte er am späten Nachmittag die Chur- und Hauptstadt der Mark. Schon in Plaue wurde er von einem Vertreter des ADFC in Empfang genommen. Am westlichen Stadtrand dann wurde Herr Herbrand begrüßt vom Stadtschreiber der Altstadt Brandenburg und Rector der Lateinschule Zacharias Gartz und den Abordnungen der „Altstädter“, den „Ollen und Dollen Jungs“ Frank Buchholz, Dirk Weinreich und Micha Hübner (Preußischer Landbote) von der Interessengemeinschaft „Olle und Dolle Räder“. Letztere kamen in Frack und Zylinder, Knickerbocker und Schiebermütze auf ihren hundert Jahre alten Rädern einher, um dem Botschafter des Friedens ein würdiges Willkommen zu entbieten. Der ganze Pulk begleitete Herrn Herbrand zum Industriemuseum vor dem ehemaligen Siemens-Martin-Ofen XII des Stahl- und Walzwerkes Brandenburg, in dessen Hallen auch ein kleine aber feine Brennabor- Ausstellung eingerichtet wurde. Die Chefin des Museums Frau von Treskow ließ es sich nicht nehmen, die Besucher persönlich zu begrüßen. Der ausgiebige Aufenthalt bot dem weitgereisten Gast etwas Erholung von der strapaziösen Tagesetappe.
Gemeinsam wurde die Fahrt zum Nikolaiplatz fortgesetzt, wo die kleine Truppe bereits von der Frau Oberbürgermeisterin, hochrangigen Vertretern der CDU-Fraktion wie Herrn Paaschen und Herrn Krüger, Frau Pressesprecherin Neubert, Journalisten des lokalen Senders SKB und der Märkischen Allgemeinen sowie weiteren organisatorisch Beteiligten erwartet wurde. Auch Herr Penkawa, der FDP-Frontmann der Stadt Brandenburg, fand zu dem Empfangskomitee. Selbst die BRAWAG, der lokale Trinkwasserversorger, sandte zwei Vertreter, die unter den Anwesenden ein ganz vorzügliches Sprudelwasser verteilten.
Bedauerlich war lediglich der Umstand, daß offensichtlich nicht mehr Brandenburger von dem Ereignis wußten. Erstaunte Blicke der zufälligen Passanten – doch hielt man das Ganze eher für eine abgeschlossene Veranstaltung, bei der man sich nicht aufdrängen wollte.
Es ist gut, wenn Grußbotschaften übermittelt werden. Im kleineren Kreise ist dazu jedoch nicht mehr als ein Telephon vonnöten. Der Mühe und Ausdauer des tapferen Pedalritters Herbrand wäre ein größeres Publikum durchaus angemessen gewesen.
Dennoch ist es dankbar zu vermerken, daß selbst vielbeschäftigte Honoratioren der Stadt sich die Zeit nahmen, um mit dem Friedensfahrer ausführlich über dessen Zielsetzung und Motivation zu sprechen. Dem Respekt, den eine solche Leistung verdient, ist damit ehrenvoll Rechnung getragen worden.
Für eine Nacht nahm Hans Herbrand in der Wiege der Mark Quartier um am nächsten Tage seinen Weg nach Berlin fortzusetzen.
Uns bleibt die Erinnerung an die Begegnung mit einem Mann, deren es mehr bedürfte in unseren Landen. Die Fahrt dieses einsamen Mahners über die Deutschen Alleen und Landstraßen ist eine Demonstration der Stärke. Ein leuchtender Gegenpol zu den dumpfen Aufmärschen der Stumpfsinnigen, der Intoleranten, der Haßprediger, die sich nur im Rudel stark fühlen.
Wir grüßen Herrn Herbrand und wünschen ihm noch viele unfallfreie und schöne Kilometer und Menschen am Rande der Straßen, die seine Botschaft sehen, hören, begreifen – und umsetzen!

5. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2005