Baaks

zurück zum Landboten

 

Unternehmergier

B. St. Fjøllfross
„Ich bin so reich, weil ich meine Arbeiter so gut bezahle“, soll der weltberühmte Unternehmer Robert Bosch einmal gesagt haben.

In der heutigen deutschen Wirtschaftslandschaft scheint diese fundamentale Erkenntnis dem Vergessen anheim gefallen zu sein.
Kurzsichtige Gier bestimmt das Geschehen vielerorts. Die schnelle Mark muß es sein und die „Arbeitnehmer“ sollen froh sein, Arbeit zu haben; denn draußen warten schon hundert andere auf ihren Arbeitsplatz… Das ist alles hirnloses und dummes Geschwätz von Leuten, die ob ihres bescheidenen unternehmerischen Erfolges willen etwas wirr im Kopf oder gar größenwahnsinnig geworden sind. Bauernschläue und/ oder ein dickes Erbe hat einige von ihnen auf ihre Position gehievt und so waren sie nie veranlaßt, sich eine Unternehmensphilosophie zu erarbeiten.
Zum Wohle eines Unternehmens aber geht es auch ganz anders. Man muß als Manager oder Kleinunternehmer keine Seminare über die Gruppendynamik und die sozialen Verhaltensmuster von Ameisen und Wölfen besuchen, um diesbezüglich erfolgreich zu sein. Ein klarer Kopf, etwas Mäßigung und eine optimistische Grundeinstellung gepaart mit Vertrauen in die Kollegen der unteren Dienstränge können innerbetriebliche Wunder wirken.
Erklärend dazu eine kleine, aber symptomatische Episode: Herr Bajun war vor etwa zwölf Jahren noch ein hoffnungsvoller Studiosus der Medizin, als seine Ehefrau schwer erkrankte und er irgendwie den Unterhalt der kleinen Familie sicherstellen mußte. Über die studentische Arbeitsvermittlung erhielt er einen Knochenjob als Vertriebsfahrer bei einer großen Getränkefirma aus Atlanta. Getränkeläden, Groß- und Supermärkte, Kneipen, und sogar Freudenhäuser wollten mit den Produkten des Hauses beliefert werden. Der Job war brutal, aber relativ regelmäßig und gut dotiert.
Ein örtlicher Vertrieb befand sich in seiner Universitätsstadt. Hauptdisponent dieser Zweigstelle war ein gewisser Chef P. der schon vor der Wende in einer preußischen Residenz den öffentlichen Nahverkehr dirigiert hatte. Ein Preuße. Ein Schleifer. Ein wirklich harter Hund! Von vielen westdeutschen Angestellten gehaßt wie die Pest, weil er ihnen den Marsch blies und sie unbarmherzig antrieb. Der Ossi, der! Weil er sie forderte, bis das Blut kam. Aber er war ein sehr gerechter, ein sehr kluger Mann. Führungsqualitäten? Wenn sie sich personalisieren ließen, dann müßte man ohne zu zögern auf ihn verweisen.
Eines heißen Julifreitages im Jahre 1992, so kurz nach Mittag nun kam unser junger Kotofeij an der Grippe erkrankt in die Firma um einen Krankenschein abzugeben, was er als studentische Aushilfe gar nicht gebraucht hätte. Er tat es, weil er den Nebenjob nicht leichtfertig auf Spiel setzten wollte. Lotterlose Studenten hatten da so einen gewissen Ruf… Also kam er fiebernd und schwitzend angetrabt und reichte den gelben Schein über den Tresen des Chefs P. Es war zwei Uhr nachmittags und Bajun hatte nichts weiter vor, als so schnell als möglich wieder in sein Bette zu kommen. Doch daraus wurde nichts: Chef P. blickte kurz auf den Schein und sagte dann unbewegt: „Draußen stehen 1000 Einheiten, die müssen noch weg. Mach hin!“ Bajun sah ihn entgeistert an: „Chef, das hier ist ein Krankenschein!“
Chef P. schaute kurz die Stirne runzelnd auf und erwiderte trocken: „Junge, wenn ich nicht wüßte, wie ein Krankenschein aussieht, glaubst du dann, ich säße hier auf diesem Posten? Und jetzt quatsch nicht! Es ist ein Uhr. Bis sechse muß der Kram beim Kunden sein! Los Mensch!“
Zugegeben, das war harter Tobak, ein rauher Ton. Bajun war verdattert. 1000 Einheiten! Ist der Alte verrückt geworden? Dazu brauchten zwei Mann mit zwei Wagenladungen einen ganzen Tag! Und jetzt sollte er, malade wie er war, den Berg alleine bewältigen? Der Boss war offensichtlich nicht bei Trost? Bajun muß ein wahrhaft dämliches Gesicht gezogen haben, als er eine halbe Minute später noch immer seinem Meister gegenüberstand. Der blickte noch einmal kurz auf und stöhnte: „Also gut! Was willst du?“ Fast automatisch brabbelte Bajun: „Den neuen MAN (LKW) und die Elektroameise!“ „Na ja, ist gut. Hol dir einen Kollegen von den Staplerfahrern. Die sollen dir den Kram umladen. Die Ameise suchst du dir aus. Laß meinen Karren heil! Und jetzt komm in die Gänge!“ Damit wandte sich Chef P. wieder ungerührt seinem Schriftkram zu. Tausend Einheiten! Es war zum Wahnsinnigwerden! Glücklicherweise waren es nur zwei Großabnehmer, die noch dazu auf derselben Straße in einem benachbarten Stadtbezirk residierten. Bajun stiefelte los und brachte das Kunststück zuwege, ein paar Minuten vor sechs Uhr wieder auf dem Hof der Firma zu sein. Auftrag erledigt! Chef P. kam auf ihm zu, gab ihm die Hand und sagte: „Ich habe dir fünfzehn Stunden gutgeschrieben. Ist das in Ordnung?“ Außer Atem nickte Bajun dankbar. Das entsprach einer Monatsmiete, die unverhofft den Familienetat entlastete. Als er die Hand des Chefs freigab, spürte er in der seinigen drei blaue Scheine. 300 Mark extra! Das war eine zweite Monatsmiete für einen armen Studenten! „Ist ’ne kleine Anerkennung, eine Prämie sozusagen, für deinen Einsatz. Danke, Junge! Du hast uns echt den Pelz gerettet. Gute Besserung!“ Soweit Chef P.
Bedarf dieses Ereignis eines Kommentars? Stellt sich hier ernsthaft die Frage nach der Loyalität und der Einsatzbereitschaft der Landsknechtsseele Bajun bei einem solchen Hauptmann? Geben und Nehmen! Leben und leben lassen!
Beide haben profitiert. Beide waren füreinander da. Der Alte forderte viel! Mehr, als sich so mancher verwöhnte „Arbeitnehmer“ gefallen lassen würde. Aber wenn man sich ins Zeug legte, dann honorierte er auch entsprechend. Ohne daß man die eigenen Verdienste gebetsmühlenhaft präsentieren und herausstellen mußte. Er tat es von sich aus. Kleinigkeiten wärmen die Seele: die Einladung des Studenten Bajun beispielsweise zur Betriebsweihnachtsfeier mit einem prall gefüllten Rucksack als persönliches Geschenk; Teilhabe am Komitat, was nur Festangestellten zustand. Sonderfahrten in Zivil für die Firma mit dem Passat des Chefs und damit zeitweilige Entlastung von der Schinderei. Das alles hieß, da gab es einen Vorgesetzten, der sich ganz offenbar Gedanken um seinen Mitarbeiter machte. Wie es ihm gehen würde, wie man ihn aufmuntern - wie man ihn sich verpflichten könnte – und das ohne Druck und Zwang!
Wie war das noch? „Ich bin so reich, weil ich meine Arbeiter so gut bezahle!“
Daß die Pyramiden von Sklaven in unmenschlicher Fron errichtet worden wären, hat sich seit langem schon als unhaltbares Ammenmärchen erwiesen. Daß die Galeeren der Antike von Sklaven gerudert worden wären, glauben heute nur noch Dummköpfe.
Behandle deine Leute gut, denn sie sind dein wahres Kapital! Ehre und achte die, die scheinbar auf einer sozial niedrigeren Stufe angesiedelt sind – denn ohne sie bist du nichts!
Sie sind wahllos austauschbar? Draußen warten schon hundert andere? Versuch es doch! Auf dem Gang zum Insolvenzverfahren kannst du darüber nachdenken, daß Wirtschaft immer eine Art Krieg bedeutet. Die Feinde heißen hier bloß Konkurrenten, oder politisch korrekt: Mitbewerber. Ha, ha!
Und in den Krieg zieht man besser mit einer gutgelaunten Söldnertruppe, lustigen Landsknechtsnaturen, die auf ihr Fähnlein schwören und auf sonst nichts, weil ihr Hauptmann eine Integrationsfigur ist und kein Hampelmann oder herrschsüchtiger, selbstbezogener Bandit. Wer glaubt, diesen Kampf mit „Leibeigenen“ bestreiten zu können, der ist schon längst am Ende, selbst wenn er wähnt, die Dinge liefen noch bestens.
Diese Erkenntnis sollten sich „kleine“ wie „große“ Unternehmer und auch leitende Angestellte von Wirtschaftsgiganten zueigen machen. Manchesterkapitalismus läßt eine Volkswirtschaft über kurz oder lang kollabieren!
Es ist daher schwer zu begreifen, daß bei solch „leitenden Persönlichkeiten“ das Rad immer wieder neu erfunden werden muß. Wieviel Stumpfsinn steckt dahinter?

3. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2004