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        zum Landboten   | Das Fahrrad 
        und der Wehrmachtsbericht
 B. St. FjøllfrossEs muß der 8. Juno 2004 gewesen 
        sein, da strahlte das Fernsehen - ich glaube gar, es war ein öffentlich 
        rechtlicher Sender - einen Beitrag aus, der an sich viel Lobenswertes 
        zum Inhalt hatte. Es ging darum, angesichts der exorbitanten Ölpreise 
        die Vorzüge des Drahteselfahrens wieder etwas zu beleuchten und den 
        Leuten schmackhaft zu machen. Die westdeutsche Kleinstadt Bünde im 
        Lande der Westfalen wurde als Beispiel benannt, wie sich eine fahrradfreundliche 
        Kommune organisieren ließe. Und weiß Gott, in allem Ernste: 
        Wir ziehen den Hut vor den rührigen Bündern. Dufte! Kann man 
        nicht anders sagen!
 Sogar die Krankenkassen machen mit. Schließlich profitieren sie 
        ja von Beitragszahlern, die sich fit und gesund erhalten und für 
        die eingezahlten Beiträge am Ende nicht so viel heraushaben wollen. 
        In Berlin jedoch würden sie wahrscheinlich die Zähne fletschen: 
        Bedeutet doch das Pedaletreten in der Bundeshauptstadt immer eine Art 
        Himmelfahrtskommando für den Einzelnen, was im Ernstfall für 
        die Kassen teuer werden kann. Desgleichen wird der Bundesfinanzminister 
        und sein Amtskollege Clement vom "Superministerium" die Idee 
        bestenfalls goutiert haben wie faulen Fisch und ranzige Butter: Denn, 
        spräche sich die neue Mode herum und das deutsche Volk würde 
        sein Straßenbild dem der Metropolen Peking oder Saigon angleichen 
        - es stünden Milliardenverluste ins Haus. Die unermüdlich sprudelnde 
        Quelle der Mineralölsteuer würde versiegen, oder zumindest zu 
        einem Rinnsal schrumpfen. Man würde sie also, um diese Inzisur wenigstens 
        teilweise abzufangen, astronomisch erhöhen müssen. Gnade Gott 
        den mit Öl beheizten Haushalten, den Spediteuren und den paar Hanseln, 
        die zu guter Letzt auf ihr Automobil angewiesen sind. Und schon bald hätten 
        die Straßen des Reiches wieder das Aussehen, das sich schon den 
        Augen König Heinrichs und Albrechts des Bären bot. Na ja, das 
        haben sie ja ohnehin bald - wird doch die Mineralölsteuer kaum noch 
        in den Erhalt der Verkehrswege investiert. Aber wir wollen nicht abschweifen.
 Was uns zuerst an dem Beitrag auffiel, war der optimistisch-freudestrahlende 
        Ton, der die Dokumentation begleitete. Ein Feuerwehrmann - selbst begeisterter 
        Radler - dreht Jahr um Jahr bei Wind und Wetter seine einsamen Runden 
        von und zur Arbeit. Mit sanfter Unterstützung durch die Chinesen, 
        die ja schließlich mit ihrer uferlosen Gier nach fossilen Energieträgern 
        Schuld an dem hiesigen Preisdebakel an deutschen Tankstellen sind, klopft 
        also der wackere Brandmeister seine Kollegen weich und überzeugt 
        sie nach und nach, den Hintern ebenfalls auf den Sattel zu schwingen. 
        Wie sie so traut durch die Schlußeinstellung in die Ferne entradelten, 
        man mochte für einen Augenblick an die letzte Szene eines Western 
        denken. Sie erinnern sich: Der obligate Ritt des siegreichen Helden in 
        den Sonnenuntergang. Wir aber dachten an die deutschtönende Wochenschau, 
        die unseren Großeltern vor geraumer Zeit Endsieg um Endsieg verkündete. 
        Ja, ja, ich weiß! Später nicht mehr so. Da fiel schon mal das 
        euphemistische Wort von der Frontbegradigung - und jeder wußte: 
        die siegreiche Wehrmacht war mal wieder Hals über Kopf vor dem mordenden 
        Iwan geflohen. Das war nur ein strategischer Rückzug, versteht sich. 
        Damit die entmenschten bolschewistisch-asiatischen Horden völlig 
        desorientiert in den von der Wehrmacht aus taktischen Überlegungen 
        für kurze Zeit freigegebenen endlosen Weiten der Steppe ziellos und 
        wirr herumtorkeln, während sich die Übermenschen in der Zwischenzeit 
        sammeln, um dann der fortwährend zusammenbrechenden Roten Armee ein 
        für alle mal das Genick zu brechen. Zwischendurch ein paar Blicke 
        auf das lustige Soldatenleben an der begradigten Front: ein lachender 
        und rauchender deutscher Soldat vor einem traurigen und qualmenden russischen 
        T34, ein bißchen abgekämpft alle beide - aber was soll's: Der 
        Russ hat wieder mal den zweiten Platz belegt bei diesem großen Sportfest, 
        der Sieger strahlt und alles in Ordnung in dieser heilen, arischen Welt.
 Was das nun mit unserem Fahrradbericht zu tun hat? Ja, hören Sie 
        es denn nicht heraus, dieses: "Die Zeiten sind zugegebenermaßen 
        vorrübergehend etwas anstrengender, aber es muß ja nicht immer 
        Butter sein. Lecker Rübensirup tut es doch genauso gut und macht 
        Kinderbäckchen rosig!"
 Hier wird nicht zwanglos über die Vorzüge des Velozipeds geplauscht. 
        Hier wird aus der Not eine Tugend gemacht. Wer zwischen den Zeilen zu 
        lesen befähigt ist, der erkennt einen Absatz der Banquerotterklärung 
        der deutschen Wirtschaft. Als nächstes kommen die Durchhalteparolen. 
        "Kinders, das wird schon wieder! Die Weltkonjunktur zieht gewaltig 
        an, die Auslandsnachfrage steigt. Bald geht's wieder los!" Was man 
        dabei zu erwähnen vergißt, ist, daß die Weltkonjunktur 
        an uns vorbei zieht. Die einstige Schubeinheit Deutschland befindet sich 
        im freien Fall und ist längst zu einer abgekoppelten Schute verkommen, 
        die eines schlimmen Tages in einem ausgedienten Hafenbecken der Weltwirtschaft 
        vor sich hin dümpeln wird: auf Grund oder als Grund - nämlich 
        für die Erheiterung der siegreichen Asiaten.
 Sehen wir zu schwarz? Durchhalteparolen? Quatsch!
 Quatsch??? Hatten wir nicht schon mal zwangsverordnete autofreie Sonntage? 
        1973, als die Araber den Ölhahn zudrehten? Erinnert uns das nicht 
        an die von oben verordneten Eintopfsonntage im Dritten und letzten Reich? 
        Die autofreien Tage sind schon wieder im öffentlichen Gespräch.
 Und so, wie es sich die Wochenschau angelegen sein ließ, die schönen 
        Seiten eines Reichs-Volks-Eintopfessens in wahrhaft deutscher Gemütlichkeit 
        unter die Leute zu bringen, so werden die Berichte nicht mehr ferne sein, 
        die uns glückliche Bicyclisten auf verwaisten sechsspurigen Autobahnen 
        zeigen, Blendax-Musterfamilien, die miteinander Federball und Mensch-ärger-dich-nicht 
        spielen, während sich der motorisierte Familienfuhrpark in der Tiefgarage 
        ausruhen darf. Kein Gehupe und Generve mehr, scheiß Stau, scheiß 
        Ampeln, Straßen voller Blindgänger und Lenkraddilettanten, 
        endlich, endlich alles vorbei! Die goldene Zeit des einträchtigen 
        Radelns hat begonnen. Großstädter werden des Morgens wieder 
        von Singvögeln geweckt, denn der Radau ist vorbei und die Luft wieder 
        rein!
 Was kehren uns die rauhen Aspekte der Wirklichkeit, was schert uns die 
        Trivialität hirnrissiger „Wachturm“ – Illusionen, 
        wenn wir doch schöne Fernsehbilder haben. Und uns die wegzunehmen, 
        das sollen die Chinesen und die Saudis erst mal versuchen!
 
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