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Das Grauen bleibt unvergessen
Stadt erinnert sich der Opfer der Euthanasie-Morde


Eberhard Klose und Wolfgang Gläser legen namens der Brandenburger Liberalen einen Kranz auf dem Gelände der Tötungsanstalt nieder.

David Katz
Als die ersten Stoßtrupps der Roten Armee am 27. Januar 1945 das Konzentrationslager bei dem oberschlesischen Städtchen Auschwitz erreichten, gefror sogar den hartgesottenen Soldaten Stalins das Blut in den Adern. Industrielle Vernichtung von Menschen – so etwas hatte es nie zuvor in der Geschichte gegeben. Wenn die Rotarmisten bisher glaubten, sie hätten die ganze Hölle bereits gesehen, so wurden sie hier eines Besseren belehrt. Der Krieg war schon Horror pur – aber das, was ihnen in Auschwitz-Birkenau und Monowitz begegnete, das sprengte die Grenzen des Vorstellbaren. Der zielgerichtete Mord an Mitmenschen, die nicht ins Raster der nationalsozialistischen Wahnidee vom nordischen Herrenmenschen passte, war in Brandenburg an der Havel geprobt worden. Unweit der Dienstwohnung von Oberbürgermeister Dr. Wilhelm Sievers, auf dem Gelände des alten Zuchthauses, wurde das Programm T4, benannt nach dem Hauptquartier der Tötungsmaschinerie in der Berliner Tiergartenstraße 4, umgesetzt. Schlimme Juristen lieferten das paraphierte Rüstzeug mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14.7.1933. Dieses Gesetz sollte Werkzeug der sogenannten Rassenhygiene sein und wurde als Maßnahme „negativer Eugenik“ angesehen. Es war dazu gedacht, dem von den Nazis postulierten „Degenerationskonzept“ entgegenzuwirken. Ab 1939 begann man zunächst mit der Tötung erbkranker Kinder. Dann gingen die Nazis dazu über, mit einem neuen, in der Geschichte beispiellosen Programm wehr- und hilflose Menschen gezielt und in Größenordnungen zu ermorden. Um ihre Verbrechen sprachlich zu verbrämen, benannten sie das Programm mit dem Wort „Euthanasie“, zu deutsch „schöner Tod“. Der entsprechende Führerbefehl an Reichsleiter Bouhler und Dr. Karl Brandt vom 1. September 1939 ist in einer der Stelen der Gedenkstätte am Nicolaiplatz abgebildet. Denn als zweite Tötungsanstalt im Reich fuhren die „Grauen Busse“ dieses Gelände an, um hier Insassen der Nervenklinik Brandenburg Görden vom 8. Februar 1940 bis Oktober 1940 ihrer Ermordung zuzuführen. Hier wurde in kleinerem Umfang erprobt, was dann in Auschwitz, Majdanek, Sobibor, Treblinka, Kulmhof und Belzec in industrieller Weise umgesetzt wurde. Die Namen der Brandenburger Henker im Ärztekittel lauten Irmfried Eberl, Aquilin Ullrich, Heinrich Bunke und Friederike Pusch. Die Namen der Opfer aufzuzählen, würde jeden Rahmen sprengen. Es waren über 9.000 in neun Monaten.
Aus diesem Grunde versammelten sich am 67. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz, der als „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ seit 1996 ein bundesweiter gesetzlicher Gedenktag ist, am Nicolaiplatz 70 Vertreter politischer Parteien und Verbände, sowie gesellschaftlicher Organisationen und der Polizei zu einer Kranzniederlegung. Neben dem Präsidiumsmitglied der Stadtverordnetenversammlung Hans-Jürgen Arndt und der Oberbürgermeisterin Dr. Dietlind Tiemann hielt die Schülerin des Bertolt-Brecht-Gymnasiums Rosalie Münchow eine Rede zu den Versammelten, in der sie an den Brandenburger Richter Lothar Kreyssig erinnerte. Kreyssig hatte sich seinerzeit unter Lebensgefahr gegen die Mord- und Vernichtungsaktion gewehrt. Dieser aufrechte und couragierte Richter möge in seiner Person als Vorbild für die nachwachsenden Generationen im Sinne der Verpflichtung wirken, die Gedanken des demokratischen Humanismus nie wieder einer menschenverachtenden, totalitären Diktatur zu opfern.

21. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
29.01.2012