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Geflügeltes Rad – wohin eierst du?
Bahnchef Dr. Rüdiger Grube und sein herzerweichendes mea culpa, Domine!

Michael L. Hübner
Dr. Rüdiger Grube ist so ein richtig Sympathischer, ganz anders als sein ungeliebter Vorgänger. Trotzdem heizt man ihm jetzt ein und Gruben wird so warm, wie zuletzt seinen gepeinigten Fahrgästen im Sommer in den Zügen mit den defekten Klimaanlagen. Sicherlich, schwer ist sein Erbe: Mehdorn wollte und musste ja unbedingt an die Börse – Gott weiß warum. Um Anlegerkapital zu gewinnen in dem maroden Staatsbetrieb? Ja, um Himmels willen – wer ist denn so verrückt, dem geflügelten Rad heute noch privat zu pumpen? Dennoch wurde diesem Ziel alles geopfert: Die Arbeitsplätze der kleinen Eisenbahner und der Werkstattkolonnen, die Wartungs- und Reparaturvorgaben der Züge, der Streckenausbau und die Instandhaltung der Gleisanlagen. Von der Entwicklung innovativer Produkte ganz zu schweigen. Die Zeiten, als der Adler noch von Nürnberg nach Fürth zuckelte, die Berliner S-Bahn zu den modernsten Verkehrsmitteln der Welt zählte und der ICE die Leute zu Scharen in die Bahnhöfe lockte, sind ja nun wahrlich lange her. Die Chance auf die Zukunft wurde grandios verspielt: der Transrapid rast nunmehr durch das Reich der Mitte. In Deutschland grassiert stattdessen das große Streckensterben. Die Strecken, die Liegenschaften – das war einst das Kapital der Deutschen Reichs- und Bundesbahn, das sie mächtig machte wie einen Staat im Staate. Wenn der Markt mau ist – Aktien halten! So predigte einst der langfristig und nachhaltig kalkulierende André Kostolany. Was machten Reichs- und Bundesbahn im Zeitalter der allgemeinen Mobilisierung des Individualverkehrs? Sie gaben ihre Strecken auf, weil die sich zu diesem Zeitpunkt gerade mal nicht rentierten. Welche kurzsichtigen Yuppie-Rindviecher haben sich denn da ihren Weg in die Management-Etagen des Bahnkonzerns gebahnt? Es ist doch sonnenklar, dass die Benzinpreise nie wieder fallen werden, dass die Automobile immer unerschwinglicher werden und die Wohlstandschere in der Bundesrepublik immer weiter auseinanderklafft. Bund, Länder und Kommunen kommen mit dem Ausbau und der Instandhaltung des Straßenverkehrswegenetzes nicht mehr hinterher. Staus und die Strapazen des individuellen Reisens lassen viele Menschen nach Alternativen Ausschau halten. Im gleichen Umfang nimmt das grüne Bewusstsein zu. Aus all dem folgt: das Interesse an einem funktionierenden öffentlichen Nahverkehr nimmt unvermeidlich zu. Hätte sich die Bahn in den letzten Jahrzehnten klug verhalten, so könnte sie jetzt in die Vorratskammer gehen und die fetten Würste herausholen. Aber so? Nichts mehr da. Eine neue Strecke zu bauen und durch die Zulassung zu bringen, ist oft teurer als eine instandgehaltene zu modernisieren. Aber wer denkt schon an Streckennetzerweiterung, wo nicht einmal das Geld für den Erhalt der vorhandenen Gleisanlagen da ist, ja, wo man nicht einmal den Fuhrpark in einem sicheren Zustand auf die Reise schicken kann! Jetzt beginnt das große Klappern und Zagen. Rüdiger Grube klopft sich schuldbeladen an die Brust, gelobt Besserung, lässt sich und die seinen vor dem Berliner Senatsausschuss am Vormittag des 10. Januar 2011 abkanzeln wie ein paar dumme Jungs. Genauso hilflos das Rechtfertigungsgestammel: Schuld sind General Winter und Bombardier und die Mehdorn-Bande und das Eisenbahnbundesamt und der Bund überhaupt... Ach, man ist es leid. Wo er konkret werden soll, nämlich in der Frage der Entschädigung all jener, die mit dem Erwerb von Monatskarten ein Beförderungsanrecht erwarben, das ihnen durch den Totalausfall der Bahnen oft, sehr oft abgesprochen wurde, da geht das Geeier los. Da müsse man sich mit der BVG absprechen, den Berliner Verkehrsbetrieben, den Trägern von Bussen, Straßenbahnen und U-Bahnen. Denn man verkaufe ja schließlich ein gemeinsames Monatsbillett. Andererseits entblödet sich der Bahnvorstand keineswegs, den Bund als Mehrheitseigner der Bahn aufzufordern, auf die nächstjährigen Dividendenzahlungen zu verzichten. Man brauche das Geld dringend, um den gegenwärtigen Investitionsstau abtragen zu können. Und für die Boni, Renten und Sonderleistungen an jene Sackpfeifen im Nadelstreifen, die das Malheur über beinahe vier Jahrzehnte anzurichten halfen und bis zum heutigen Tage kontinuieren... Letzteres bleibt selbstredend unausgesprochen! Das geflügelte Rad der Eisenbahner war einmal das Symbol der deutschen Wirtschaftsmacht, auch wenn der Eisenbahnkönig Bethel Henry Strousberg einst mit seinem persönlichen Bankrott den ersten Riesenkrach der deutschen Nationalökonomie auslöste. Des ungeachtet: Der Reichsbahner trug dieses Symbol mit Stolz über seinem Mützenschirm. Die Gleise der Reichsbahn wie auch die Straßen und Autobahnen waren und sind die Blutgefäße des Landes. Heute steht dieses geflügelte Rad noch immer für den Zustand des Großen Ganzen: für den am Horizont herauf dämmernden Abstieg Deutschlands in die zweite Liga nämlich.
Und der Bund? Was tut der Mehrheitseigner des letzten verbliebenen Staatskonzerns? Er lässt seine untergeordneten Chargen auf Landesebene öffentlichkeitswirksam und wadenbeißerisch gegen die mächtigen Bahnbosse blaffen: Seht mal, so fahren wir mit denen Schlitten! Eine Schmierenkomödie ist's. Ohne Substanz und völlig folgenlos. Nur zur Einlullung der Massen gedacht. Den doofen Michel ruhig zu halten. Der Bund hat nach der Vereinigung von Deutscher Bundes- und Deutscher Reichsbahn etwas sehr bedeutungsschweres getan, was in seiner Aussagekraft nur niemand recht mitbekam. Den Bezeichnungen „Deutsche Bundesbahn“ und „Deutsche Reichsbahn“ haftete noch etwas possesives an. Ein solcher Name steckt einen verbindlichen Verantwortungsrahmen ab. Es ist also legitim im Umkehrschluss zu erahnen, was die im Zuge der Wiedervereinigung erfolgte Verkürzung des Unternehmensnamens zu „Deutsche Bahn“, die den Interessen beider Vereinigungspartner Rechnung tragen sollte, tendenziell zum Ausdruck brachte: Ihr wollt euch privatisieren? Na dann...! Wieder Verantwortung für ein Sorgenkind weniger, wieder ein lästiger Goldesel geschlachtet, nachdem schon das restliche Tafelsilber wie die Post, das Rundfunk- und Fernmeldemonopol claimweise verschachert worden war.
Man konnte auf diese Weise das Namenslogo der alten Bundesbahn übrigens beinahe unverändert beibehalten und das ungeliebte „R“ aus der überrannten DDR-Reichsbahn galant streichen. Doch das nur nebenbei. Fakt ist, dass die Bundesrepublik heutzutage, da es bei ihrem wichtigsten Träger des öffentlichen Fernverkehrs lichterloh brennt, mit auffälliger Zurückhaltung reagiert. Es wäre von Vorteil, wenn ihr beizeiten dämmerte, dass die Zukunft Deutschlands untrennbar mit einem soliden Bahnbetrieb gekoppelt ist. In diesem Sinne: Rad- und Schienenbruch!

18. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
11.01.2011