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Bundeswehr, Wirtschaft, Pressesprecher
oder: Wie geht man im Lande mit unangenehmer Wahrheit um?

Kotofeij K. Bajun
“Bajun, zum Kuckuck, was stellen Sie da für Fragen! Da hinten im Regal steht das Grundgesetz, da die Richtlinien zum Einsatz der Bundeswehr... ja, ja, gleich neben den Jahrgängen von Titanic und Eulenspiegel.” Der Chefredakteur schimpft. Putzt seinen Vice runter. Vor der ganzen Redaktion. Selbst der Ladenschwengel Hübner duckt sich hinter seinen Rechnerbildschirm, um ungesehen mit breit-frechem Maule grinsen zu können. Mit solchen Banalitäten darf man dem Alten nun mal nicht kommen. Da setzt es unangenehme Hiebe, Zeitpunkt, Art und Umfang des Publikums – wurscht! Und was die bescheuerte Frage betrifft, ob die Bundeswehr, wie nun auch vom Herrn Bundesverteidigungsminister deklariert, auch für wirtschaftlichen Interessen die Flinte putzt: Wir haben eine festgeschriebene freiheitlich-demokratische Unordnung, die Bundeswehr verteidigt sie gegen äußere Feinde und sei es am Hindukusch, und überhaupt – die Welt ist eine Scheibe und ruht auf 16 Beinen von vier überdimensionalen Elefanten. Aber halt: Da tutete doch vor gar nicht mal so langer Zeit der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler in einer schwachen Stunde vor Journalisten in das selbe Horn, dass Bundeswehreinsätze im Ausland eben nicht nur der Landesverteidigung und Angriffsprävention dienen, sondern eben auch der Wirtschaft. Hoch über den Wolken war das. Ein Skandal! Eigentlich hätte es gar keiner hören dürfen. Verfluchte Technik! Das Volk riss das Maul auf. Baff war es vor blankem Erstaunen, geplättet und entsetzt. Nicht, dass diese Binsenweisheit nicht allseits bekannt wäre. Na ja, außer vielleicht einigen mondsüchtigen Spinnern mit Blümchen im Parteibuch. Aber darüber spricht man doch nicht! Man kann ja sonst in unserer enttabuisierten Gesellschaft über alles reden, selbst darüber, auf welche Art und Weise es Oma und Opa noch miteinander treiben. Alle Hüllen sind längst gefallen. Schamhaftigkeit wird an jedem Bahnhofskiosk zum anachronistischen Absurdum degradiert. Aber so etwas? Hier geht’s nicht um ein paar verräterische Flecke im Unterhöschen, sondern um Kapital und Besitztümer, Unternehmungen und Familien, die sich den Schutz ihres Eigentums durch Steuergelder gewährleisten lassen. Das ist ja auch ihr gutes Recht: Immerhin verpflichtet der Artikel 14 Absatz 1 des deutschen Grundgesetzes den Staat, das Eigentum zu schützen. Also, was soll's? Dennoch, beim Geld wird der Deutsche komisch. Er will's haben, so viel wie möglich, aber der Nachbar soll nichts davon wissen, ob der nun Müller, Lehmann oder Finanzamt heißt. Das gibt nur Neid, böses Blut und am Ende noch – Gott behüte – Verpflichtungen, die ja ebenfalls im selben Artikel des Grundgesetzes, nur eben einen Absatz weiter, festgeschrieben sind.
Daher also ein böser Aufschrei. Nicht nur daher. Nein, in Deutschland gibt es viele ungeschriebene Protokolle, die festlegen, worüber man reden darf und worüber nicht. Da hat sich seit den Zeiten des Dritten Reiches und der DDR nicht viel geändert und in der Bundesrepublik schon gleich gar nicht. Intern fliegen die Fetzen – nach außen wird geleugnet, beschönigt, gegrinst, weggesehen, ignoriert, ausgesessen, herum palavert. Der Bundespräsident bezog sich damals auf den Einsatz der gesamtdeutschen Volksmarine gegen die Piraterie am Horn von Afrika. Was wird geschützt? Ein paar arme Fischer vielleicht, die von den Seeräubern ebenfalls ausgepocht werden? Nee... Handelsrouten! Ist ja auch wichtig. Hängt ja die Volkswohlfahrt davon ab. Und die Margen der deutschen Kaufleute. Am Hindukusch wurde schon immer die Freiheit der westlichen Welt vor dem Zugang des russischen Bären an den Indischen Ozean verteidigt und damit zu den Ölquellen der arabischen Länder. Pssst. „Menschenskind, Bajun, halten Se doch ihre ungewaschene Schnauze! Wir bekämpfen dort den Terrorismus von durchgeknallten Taliban, die kleine Mädchen verstümmeln, die zur Schule gehen wollen.“ Ist schon recht! Das machen die tapferen deutschen Soldaten natürlich auch, die vornehmlich dort runter gehen, weil's ein wenig extra Sold...“ „Bajun!“ Wo sind die tapferen deutschen Soldaten mit dem dicken Soldbuch, wenn im Sudan ein Gleiches geschieht? Schade, dass die zwangsbeschnittenen Negermädchen aus Äthiopien gerade nicht auf so geopolitisch wertvollem Land sitzen. Da werden sie wohl noch eine ganze Weile greulich schreien, wenn ihnen mit dem Schlachtemesser die Klitoris reseziert wird. Kein deutscher Soldat in Sicht. Ach, wenn doch wenigstens ein 40-Tonner mit Hamburger Kennzeichen im Namen einer Münchner Spedition an dem Negerkral mit den archaischen Gebräuchen vorbei donnern würde. Dann gäbe es wenigstens ansatzweise Hoffnung. Einen blutigen Schwamm drüber!
Nun ist der Dr. Michael Offer zurückgetreten. Was, Sie haben von dem promovierten Mimöschen noch nichts gehört. Der Schäuble Wolfgang war doch wohl vernehmlich genug, als er seinen Presseverbindungsmann vor Beginn einer angesetzten Pressekonferenz verbal abwatschte, weil irgendwelche Papiere noch nicht verteilt waren. Aufgebrachte Stimmen deutscher Gartenzwerge fragen jetzt entsetzt, warum Offer zurückgetreten ist und nicht der böse Schäuble. Denn so etwas wie die öffentliche Bloßstellung eines so hohen Dienstmannes gehöre sich ja schließlich nicht. Wahrscheinlich krähen jetzt die am lautesten, die morgen in ihre Abteilung gehen und ihre Mitarbeiter zum Frühsport erst mal so richtig eirund machen. Aber doch nicht nach außen dringen lassen! Muss alles schön unterm Teppich bleiben! Die Mitarbeiter hängen sich auf, oder rennen zum Psychiater und hängen sich dann auf. Sie gründen anonyme Selbsthilfe-Workshops, wo sie sich mit ihrem Gejammer gegenseitig die Ohren voll heulen, nur um am nächsten Tage wieder den Arsch zum Reintreten hinzuhalten. Aber darüber reden? So etwas öffentlich machen? Schon klar, dass es dafür ein breites Bedürfnis gibt. So ähnlich wie das nach UFOs. Doch darauf wusste schon der große Stanislaw Lem eine Antwort. In seiner „Stimme des Herrn“ lieferte er das Rezept, wie man mit solchen Problemen umgeht: Sie wollen UFOs? Gebt sie ihnen, gebt ihnen Legionen, versteckt eure Erkenntnisse unter Bergen von informativem Müll! Analog dazu liefert das deutsche Proletenfernsehen die Schlüssellochformate, auf deren Bühnen man sich vor der ganzen Nation gegenseitig so richtig fertig machen kann. Na geht doch! Moment – das ist für die Proleten gedacht, nicht für die feinere Gesellschaft. Wir müssen schon noch unterscheiden zwischen den armen Teufeln, die nicht so einfach zurücktreten können wie Mimosen-Michi, weil auf sie endlose Schlangen vor Schikaneschaltern deutscher Arbeitsämter warten und auf der anderen Seite den Snobs, auf die ihrerseits endlose Schlangen von Headhuntern lauern, die sich mit lukrativen Angeboten nur so überbieten. Da liegt der Hase im Pfeffer! Es gibt immer Leute, die den Hintern um des morgigen Tages willen hinhalten müssen und Zeitgenossen, die billig zurückkeilen können. Um Mimosen Michi Offer sollte sich niemand unnötige Gedanken machen: Der Mann geht nicht stempeln und sein Rücktritt beschert ihm auch keine Drei-Monats-Sperre beim Arbeitsamt. Und selbst wenn... Lacht der doch drüber. Deshalb ist es ja so skandalös, mit einem solchen Manne so umzuspringen! Denn die ganze Aktion verpufft ins Leere, hat gar keinen Effekt (jedenfalls keinen, über den sich Pro 7, Sat1 und RTL nachhaltig freuen könnten) und erweckt nur Mitleid beim Plebs und Wut beim Adel. Sperrige Typen wie Herbert Wehner, Regine Hildebrand, Thilo Sarrazin (kurze Bekreuzigung) und Wolfgang Schäuble, und für einen winzigen Augenblick der Weltgeschichte auch mal Horst Köhler, die sich so ganz nonkonformistisch an keinen ungeschriebenen Kanon halten wollen, passen da gar nicht ins Bild. Einem hart arbeitenden Spitzenpolitiker wie Wolfgang Schäuble ist nicht seinen Vorstellungen entsprechend zugearbeitet worden. Das hat den Mann gefuchst und er hat seinem Unmut ungeschminkt Ausdruck verliehen ohne scheinheilig zu grinsen und den Offer hinter den Kulissen fertigzumachen. Das verzeihen ihm die deutschen Gartenzwerge nicht, so wenig wie sie irgendjemandem verzeihen, der öffentlichkeitswirksam eine unangenehme Wahrheit zum Besten gibt. Aber sie sollen sich vorsehen. Wir hatten mal einen, den nennt die Welt bis heute den Soldatenkönig, der hat in Preußen unangenehme Wahrheiten schon mal mit seinem Buchenknüppel vermittelt, welchen er auf Rücken jeden Standes und vor jedem Publikum tanzen ließ. Und wie uns die Geschichte lehrt – es kommt alles irgendwann einmal wieder. Der Offer-Rüffel war da sicher nur der Anfang vom Ende der verlogenen, rokokoesk gestelzten deutschen Verschweige-Leitkultur. Die Temperatur wird eisiger, das Klima rauer. Wir sollten uns beizeiten etwas wärmer anziehen. Jammern hilft da nichts.

17. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
10.11.2010