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Günter Grass und die Waffen-SS
ein Lanzenbruch für einen guten Mann

Kotofeij K. Bajun
Im August 2006 meldet sich ein Literaturnobelpreisträger zu Wort und verkündet, er hätte als 17jähriger für drei Monate in der Waffen-SS-Division „Frundsberg“ gedient. Wir kennen den Verein als 10. SS-Panzerdivision, welche die SS-Panzergrenadierregimenter 19 und 20, das SS-Panzerregiment 9 und das SS-Panzerartillerieregiment 9 unter seinen Fahnen führte. Ob die nun zur Waffen-SS oder zur schwarzen Kerntruppe zählten, entzieht sich unserer Kenntnis.
Aber das ist sicherlich auch völlig unwichtig.
Der Siebzehnjährige wird in den drei Monaten keine KZ zu beaufsichtigen, keine Todesmärsche zu begleiten, keine Dörfer als Vergeltungsakt zu verbrennen, keine Partisanen zu Tode zu martern gehabt haben. Wir wissen es natürlich nicht, denn wir waren nicht dabei. Das zu glauben aber fiele uns schwer. So schwer, daß für den Siebzehnjährigen von damals, wenn wir den Menschen von heute sehen, die Hand ins Feuer legen würden, so sehr sich dieser Mensch von heute uns gewöhnlichen Sterblichen auch entrückt haben mag.
Bemerkenswert ist, daß nach Herrn Grassens wie auch immer motiviertem „Geständnis“ ein bigotter Aufschrei durch die Sommerloch-geplagte Republik geht.
Da ist sehr bald die Rede davon, daß der Literat der Menschlichkeit sich in seiner Rolle als Mahner für Frieden und Völkerverständigung diskreditiert habe.
Andere fragen: „Warum erst jetzt?“ Durch das späte Bekennen würden die Werke in einem neuen Lichte erscheinen, verlören gar an Integrität.
Wir halten das für ausgemachten Blödsinn. Herr Grass mag sein wie er will und wer er will – ihm aus dieser Geschichte einen Strick drehen zu wollen, diskreditiert bestenfalls die Kläffer. Auch die, die unter dem Mäntelchen der scheinbar so Nachdenklichen einherkommen.
Der Landbote läßt sich bei diffizilen Themata bekanntermaßen etwas Zeit, ehe er sich zu Worte meldet. Kann er auch, denn er ist kein tagespolitisches Blatt.
Nach einigem Hin und Her sind wir zu folgendem Schluß gekommen:
Herr Grass wurde als 17jähriger zur Waffen-SS gezogen. Sein Dienst währte ein Vierteljahr. Es ist nicht davon auszugehen, daß er an wie auch immer gearteten Kriegsverbrechen teilgenommen hat. Punkt.
Wer will einem 17jährigen das Wissen und die Courage abfordern, einen Gestellungsbefehl des Wehrbezirkskommandos in Kriegszeiten gar zu verweigern, zumal wenn er mit Sicherheit das Ausmaß der Nazi-Verbrechen nicht im Mindesten überblicken konnte!
Von einem Freund des Chefredakteurs Herrn Fjøllfross, einem ehemaligen Regionalfürsten der Deutschen Bundesbank in Bayern, wissen wir, daß jener zur Waffen-SS kam, weil ihm und seinen Freunden die Ableistung des Reichsarbeitsdienstes zuwider waren und der Dienstantritt bei dieser Truppe von derlei Verpflichtungen entband. Wir wissen von ihm, daß er ein normaler Soldat war, der nur seinen „Pleitegeier“ auf dem Ärmel statt über der Brust trug. Wir wissen von ihm, daß viele Kameraden seiner Einheit die Schwarze SS und alle übrigen Fanatiker verachteten.
Es geht uns hier beileibe nicht um die Reinwaschung einer bösartigen Kampftruppe des Nationalsozialismus! Der Landbote sollte seiner unzweideutigen Haltung dieser Ideologie gegenüber bekannt sein.
Es geht darum, klar zu stellen, daß Herr Grass nicht als erwachsener und reifer Mann im vollen Bewußtsein seiner Verantwortung zu den Schwarzen gerannt ist, um eine völkervernichtende Doktrin umzusetzen, sondern als grüner Junge zu einer Kampfeinheit gezogen wurde, der er ein Vierteljahr angehörte.
Bleibt die Frage, warum er so spät dazu Stellung nahm.
Nein! Bleibt sie nicht!
Er hätte überhaupt nur dazu Stellung nehmen müssen, wenn er, wie oben beschrieben, als erwachsener Mann zu Himmlers Schwarzem Orden gestürmt wäre, oder wenn er in seiner Dienstzeit als Soldat des Dritten Reiches an Kriegsverbrechen teilgehabt hätte.
Sein Schicksal war das von Tausenden, Hunderttausenden.
Daß er seine literarische Gabe genutzt hat, gerade dieser verbrecherischen Ideologie den gnadenlosen Kampf anzusagen, rehabilitiert ihn eher – wenn eine Rehabilitation überhaupt zur Debatte stünde. Auf keinen Fall aber schmälert sein wann auch immer komplettierter Lebenslauf die Integrität seiner Person, seines Werkes oder seiner in der Vergangenheit getroffenen Aussagen.
Selbst wenn er in jugendlicher Torheit dem deutschen Wahn der Nazizeit aufgesessen sein sollte – „wer nie im Leben töricht war, ein Weiser ward er nimmer!“ Von denen, die in der Nazizeit erbitterten Widerstand leisteten und danach – wofern sie das Grauen überlebten, die Methoden ihrer Peiniger übernahmen und dann sublimierten, wie sich Jutta Maron einst artikulierte, kennen wir einige. Keine schönen Erinnerungen…
Glauben Sie uns – der Alte von der Trave ist uns da tausendmal lieber.
Denn Günter Grass hat aus dem Erlebten Schlüsse gezogen, die in eine Zukunft ohne Gewalt und mit eingedämmter menschlicher Dummheit weisen, anstatt den alten Lumpereien unter neuem (oder sogar altem) Farbanstrich weiterzufrönen. Das ist es, worauf es ankommt. Und auf nichts sonst.
Doch seien wir versöhnlich. Das ganze Theater war eine faule Blase aus der Saure-Gurken-Zeit und schon morgen, so trösten wir uns mit den Worten des kongenialen Hape Kerkeling, wird das Volk wieder „eine andere Sau durchs Dorf treiben“. Die sind halt so. Laß sie. Man ändert sie nicht.

8. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2006