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Russenkälte

K. K. Bajun
Am Dienstag, dem 24. Januar 2006 ist es wieder einmal soweit: Die Gralshüter der deutschen Sprache küren das Unwort des Jahres 2005. „Entlassungsproduktivität“ hat das unselige Stechen gewonnen. Dicht auf lagen Ehrenmord, Bombenholocaust und Langlebigkeitsrisiko.
Das ist schon eine sinnige Erfindung, das mit dem Unwort. Sensibilisiert es doch wenigstens ein bißerl für den Schindluder, der unentwegt mit der Muttersprache getrieben wird.
Für das Jahr 2006 aber werden wir uns zu Wort melden – das steht schon jetzt so fest wie das Amen in der Kirche. Die „Russenkälte“ ist unser unschlagbarer Favorit, mit dem wir ins Rennen gehen werden.
Dieses Wort, von manchen Radiosendern für Plebs und Proll marktschreierisch hinausgebrüllt, ist eine demagogische Unverfrorenheit mit brandgefährlichem Potential.
Der Russ…! – Seit jeher ist im Deutschen beinahe alles, was mit diesem Nachbarvolk zusammenhängt, zutiefst negativ belegt.
Der faule, versoffene und hinterwäldlerische Russ! Spätestens seit dem Einmarsch der Roten Armee 1945 und den damit verbundenen Exzessen an der deutschen Bevölkerung ist diese abschätzige Wertung größtenteils in puren Haß umgeschlagen. (Was SS, Gestapo und Wehrmacht in Rußland verbrochen hatten, fällt dabei regelmäßig unter den Tisch.)
Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatten sich die bolschewistischen Untermenschen zu entarteten Bestien deklassiert. Sie hatten sich endgültig aller zivilisatorischen Segnungen unwürdig erwiesen. (Im Gegensatz zu den auschwitzerbauenden Deutschen…) Es gruselt uns vor diesen Barbaren.
Gott sei Dank hatte das Pack Ende der Achtziger wenigstens die Nachkriegszeit verloren, nicht wahr. Wo doch der Allmächtige Vater des Abendlandes schon so ungerecht war, sie im letzten Kriege siegen zu lassen. Ausgleichende Gerechtigkeit!
Doch dieses revanchistische Gesindel konnte und wollte sich damit nicht abfinden. Jetzt hocken sie in den Tiefen Sibiriens und köcheln an einer neuen, hundsgemeinen Geheimwaffe: der sibirischen Kälte. Und schieben schon mal einen Prototypen in Richtung kreuzbrave, unschuldige und ahnungslose Jungfer Europa.
Sie wohnen im Osten – von Deutschland aus gesehen. Von daher kommt dem christlichen Okzident schon lange kein Lichtlein mehr, wie denn der Lateiner mit seinem „ex oriente lux“ postuliert. Nein, der Osten ist und bleibt der Hort alles Bösen.
Mit dem infantilen Gequatsche der gedankenlosen und ewig prima gelaunten Moderatoren wird über den schlagenden Begriff „Russenkälte“ dem Volk der Russen der beißende Frost quasi persönlich angelastet, so als säße der verschlagene Schweinehund im Schafspelz wirklich und wahrhaftig hinter dem Ural und fabriziere uns zum Schaden die Saukälte. Das erfüllt schon den Tatbestand der Volksverhetzung. Oh, könnte man den Schurken doch nur eine böse Absicht nachweisen, die über ihre dußlige Effekthascherei hinausgeht! Wir würden ihnen das Blut in den Adern gefrieren lassen, so lang würden wir ihnen die Hammelbeine ziehen. Und das ohne jegliche Unterstützung seitens der Russen. Versprochen!
Wer sich mit seinen Vorschlägen für ein Unwort des Jahres einbringen möchte, dem empfehlen wir, Herrn Professor Schlosser aus Frankfurt am Main anzuschreiben. Wir tun es!

Professor Dr. Horst D. Schlosser
Universität Frankfurt am Main
Grüneburgplatz 1
unwort@em.uni-frankfurt.de

7. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2006