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Brandenburg – Stadt der Bewegung
-ein Kalenderbild für das Jahr 2005-

K. K. Bajun

Schreiben an die „Märkische Allgemeine“, Tageszeitung für Brandenburg

Als Mitinitiatoren des ansonsten sehr lobenswerten Projektes
"Kalender Schülerwettbewerb Werbemotive - Brandenburg an der Havel 2005, erstes Aprilblatt"
denken wir, daß Sie einiges Interesse an unserem Resonanzschreiben an die beiden Beitragsgestalterinnen des ersten Aprilblattes jenes Kalenders haben werden. Daher gestatten wir uns, Ihnen eine Kopie dieses Schreibens an das Märkische Grasow-Gymansium zu Brandenburg/Havel zu übermitteln.
Dort wird Brandenburg an der Havel als "Stadt der Bewegung" angepriesen. Als führendem Blatt unserer Region sollte Ihnen der Hintergrund dieses Titels nicht unbekannt sein.
Ein etwas sensiblerer Umgang mit der deutschen Geschichte seitens der Juroren wäre von unserer Seite her durchaus wünschenswert gewesen.
Ihr Bajun

Liebe Frau A. E., liebe Frau St. T.
mit großem Erstaunen haben wir den Kalender „kreativ pro Brandenburg“ für das Jahr 2005 durchgeblättert, dessen Arbeiten ja unter anderem dazu beitragen sollen, den Namen der alten Chur- und Hauptstadt in Europa bekannter zu machen. Vielleicht auch, um finanzkräftige und unternehmungslustige Neubürger auf diese schöne Stadt mit großer Tradition aufmerksam zu machen und sie anzulocken.
Am weitaus besten gefiel uns Euer Bild. Da haben wir es, schwarz auf rot: Brandenburg ist die „Stadt der Bewegung“. Endlich! Nach mehr als siebzig Jahren haben wir München den Rang abgelaufen. Da wird ein Aufschrei durch die deutschen Gaue hallen! Und wie erst die restlichen Europäer jubeln werden… Vor allem die, bei denen die deutsche Besatzung unter den Nationalsozialisten tiefste Spuren hinterlassen hat.

Klaenderblatt April des Kalenders  "Schülerwettbewerb  Werbemotive Brandenburg an der Havel


Als nächstes Etappenziel sollten wir vielleicht mit den Nürnbergern um deren Titel ringen:„Freie Reichsstadt“? Äh! Peanuts! „Stadt der Reichsparteitage!“ Das hat doch Klang, was?
Ich weiß nicht, ob am Grasow-Gymnasium das Fach Geschichte gelehrt wird. Na ja, eigentlich ist das auch ein durchaus verzichtbarer Stoff – wen interessieren schon die ollen Kamellen von gestern! Aber im Fach Deutsch könnte sich doch mal eine von Euch für ein Referat zum Thema „Politische Instinktlosigkeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts“ bewerben. Für exquisites Anschauungsmaterial habt Ihr ja schon selbst gesorgt.
Besonders feinfühlig finden wir die Idee der Kalendermacher, Eurem Beitrag die erste Aprilhälfte vorzubehalten. Der Erste dieses launischen Monats ist ja in unserem Kulturkreis den kernigen Späßen und Streichen vorbehalten, die man seinen Mitmenschen zur eigenen Erheiterung spielt. Was wird die sich gerade wieder neu formierende Jüdische Gemeinde unserer Stadt herzhaft lachen! Da denkt doch keiner mehr an die brennende Synagoge und unsere armen jüdischen Mitbürger, die von ihrer Heimatstadt letztmalig die Große Gartenstraße sahen. Durch die hindurch wurden sie nämlich zum Hauptbahnhof geführt, von wo aus dann die Deutsche Reichsbahn für den Abtransport in die Vernichtungslager sorgte.
Und auch die Angehörigen der geistig behinderten Mitmenschen, die in der „Pionierstadt der Euthanasie“ (ebenfalls Brandenburg an der Havel) umgebracht wurden, werden in die Hände klatschen. Das Bild der zweiten Monatshälfte zu widmen, in der ein gewisser Hauptmieter eines gewissen „Braunen Hauses“ in der vormaligen „Stadt der Bewegung“ Geburtstag hatte, am 20. April nämlich, wäre unter Umständen noch etwas zu gewagt.
Wir sagen bewußt „noch“. Denn je uninteressanter das vernachlässigbare Fach Geschichte für Euch Nachwachsenden wird, desto näher rückt der Zeitpunkt, zu welchem ein solches kleines Stolperchen auch keinem mehr auffällt.
Und wir kennen einige Zeitgenossen, die sich darüber richtig freuen. Die haben gerade in Sachsen und in Brandenburg bei den letzten Landtagswahlen den etablierten, demokratischen Parteien mächtig eingeheizt. Glaubt uns: Bei je weniger Leuten beim Verleihen eines Titels „Stadt der Bewegung“ alle Alramglocken klingeln – desto leichteres Spiel haben diese Leute.
Der Maler Francesco de Goya betitelte eines seiner weltberühmten Bilder mit den Worten: „El sueño de la razon nace monsteros!“ Das ist zu deutsch: Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer! Wie wahr, wie wahr…

4. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2004