Liebe Zaubermaus!
Zum 2. Todestag einer norwegischen Prinzessin

Wenn immer ich Dein kleines Eichenkistchen betrachte, muß ich an das im Mittelalter weit verbreitete Motiv des Totentanzes denken, das die Menschen in den fatalen Zeiten großen Leides durch Hunger, Krieg und Seuchen an die Vergänglichkeit alles irdischen Seins erinnern sollte. Da fassen Gerippe noch lebende Menschen aller Stände und jeden Alters, Männer wie Frauen, an den Händen und tanzen mit ihnen jenen schauerlichen Reigen, der alles Lebende dem Abgrund des Grabes zuführt. Da wird der Tod als schauerlicher Genosse des Bösen vorgeführt, den es mit Hilfe des Glaubens zu überwinden gilt. Welch törichte Narretei!
Der lichteste unter den ungenannten Erzengeln Gottes hat von jeher Mensch und Kreatur von ihrem Leiden erlöst. Das Sterben mag fürchterlich für den Einzelnen sein. Der Tod ist Befreiung ihm - nur denen, die das geliebte Wesen verlieren, erscheint er grausam.

Wer einen Kirchhof besucht, der besucht am Ende nur sich selbst, pflegte der Dr. Tucholsky zu sagen. Das mag so stimmen. Alle die Riten, die Grabpflege, das Anzünden von Kerzen, das Errichten von Pyramiden, Nekropolen, Altären, das alles nutzt nichts den Toten. Es holt sie nicht wieder. Es nutzt nur den Hinterbliebenen, indem sie sich nun vorspiegeln können, sie hätten den Kontakt zu ihrem Verstorbenen nicht zur Gänze eingebüßt. Es geht mir genauso. Ich gebe es zu.

Ich weiß, es wäre besser, Deinen kleinen Leib der Erde und der Vergänglichkeit zu übergeben und Deine Seele in meinem Herzen zu begraben. Ich kann das erstere nicht, das letztere versuche ich jeden Tag aufs Neue.

Es fällt mir schwer, Spinozist der ich bin, zu glauben, daß wenn mir die Stunde schlägt, etwas anderes als namenlose Finsternis auf mich warten sollte. Wenn dem aber nicht so sei und die Religionen dieser Welt doch nicht irrten, dann wünsche ich mir, von Dir, kleine Herrin meines Herzens, an den Toren der Dämmerung empfangen zu werden.

Ich habe Dein Leben teilen dürfen und ich hatte das fürchterliche Kreuz zu schultern, Dein elendes und langes Leiden und Sterben bis zu seinem erlösenden Ende vor genau zwei Jahren um diese Stunde zu begleiten. Das hat mich in der Seele verändert. Auch mein eigenes Dasein erscheint mir seitdem in einem anderen Lichte.

Wenn der Bruder Tod mich ruft, werde ich ihm leichten Herzens und unbeschwert folgen können. Denn ich werde auf einer Straße gehen, die Du mir geebnet hast, kleine, Große Dame! Niemand konnte mir das mönchische Ideal so nahe bringen wie Du: Mit nichts als Deinem samtenen und duftenden grauen Fellchen, Deinen unergründlich schönen Augensternchen, Deinen rosa Pfötchen und einer nicht zu besiegenden Lebensfreude kamst Du. Und du gingst so arm, wie Du gekommen bist. Doch hinterließest Du mir einen gewaltigen Reichtum in Gestalt dessen, was Du mich lehrtest.

Darf man eine Rattendame einem wahren und klassischen Philosophen gleichsetzen? Man darf! Mehr noch: Der Weise, der echte Philosoph, wird sie zu seinen Lehrern zählen, zu seinen Vorbildern, gleich den Tieren, die die chinesischen Mönche des Schao-Lin und des Wu-Dang zu ihrer überirdischen Kampfkunst inspirierten.

Laut Wilhelm Busch durfte der Heilige Antonius nach seinem Abscheiden sein geliebtes Tönniesferkel mit sich in den Himmel nehmen. Das bin ich gern bereit zu glauben. Bei uns beiden wird es umgekehrt sein. Du wirst mir Einlaß verschaffen, wo es Dir zu bleiben gestattet ist. Und Du wirst mir helfen, die Brücken zu jenen zu bauen, an denen sich meine Unvolkommenheit über jedes Maß hinaus verschuldet hat.

Kleine Dame, zwei Jahre vermochten nicht, Die Spuren Deiner Taperpfötchen aus dem Heim zu verwehen, das eine Zeit lang das Deine gewesen ist. Um so weniger vermochten sie es in meinem Gedächtnis. Mein Leben währt genau so lange, wie das so bleibt.

zum Preußischen Landboten

zurück