Sondermüll
Kind
B. St. Fjøllfross
Am Tag der Arbeit schrieb mein verehrter Kollege Bajun in einen
„Chat“ der Online-Ausgabe des Nachrichtenmagazins
„Stern“ folgende Zeilen:
Nu mal langsam
Kinders, mal nich so uffjerecht!
Det ham wa doch alle so jewollt. Det is doch unsere Politik
seit vielen Jahren schon. Vor 'nem halben Jahrhundert stecken
wir die Asozialen alle in ein Lager und jetze streicheln wa
se nach Kräften. Wir sind doch die, die keene innere Stabilität
haben. Wat solln wa denn da von so ne Miss Flodders erwarten,
die 'ne Schmuddeltochter is aus unserer Mitte, 'n Produkt unserer
Erziehung und unserer abhanden jekommenen Werte? Nee, Leute,
die Frau zeigt uns an, wie unsere Zukunft ist. Die is einfach
nur "trendy". Scheene neue Welt! Jeder für sich
und Jott für uns alle. Hurra, und wat erst aus die Blagen
wird! Allens Jeheimrats, Officiers und Professoren, wat?
Es ging dabei
um die 46-jährige Kindergärtnerin, die zu Berlin ihre
vier Kinder in einer völlig verwahrlosten Wohnung sich
selbst überlassen hatte. Der älteste, 12jährige
Sohn vertraute sich dem Jugendamt an und so wurden die Kinder
erst einmal von der Polizei gerettet und in einem Heim untergebracht.
Nun schreibt der Stern: Jugendamtsleiterin Judith Pfennig will
bereits ein gutes Gespräch mit der Mutter geführt
haben: "Sie machte den Eindruck, als sei sie in der Lage,
die Krise zu bewältigen."
Jetzt beginnt sich uns der Magen umzudrehen. Ein Korrespondent
des Landboten bezeichnete einmal das Jugendamt in einer launigen
Stimmung schon mal als „Verbrecherische Organisation“.
Ganz so weit würden wir nicht gehen wollen. Die Intention,
die den gebeutelten Mann zu seiner Attitüde gelangen ließ,
ist aber schon klar. Wer seinen Existenzrecht darin zu bestätigen
sucht, daß er Väter generalisiert verteufelt und
mißhandelt, während Mütter als unantastbar gelten,
ganz egal, was sie sich leisten, der sollte sich über eine
solche Reflexion nicht allzusehr wundern.
Doch lassen wir dieses insuffiziente Ärgernis namens Jugendamt,
das offensichtlich aus dem einzigen Grunde ins Leben gerufen
wurde, Enkelinnen die Möglichkeit zu geben, ihre auf dem
Scheiterhaufen verbrannten Großmütter zu rächen,
beiseite.
Wesentlicher ist es uns um die Tendenz zu tun, die Herr Bajun
im Stern ansprach.
Wir erleben eine Epoche, in der Kinder Kompanieweise in Tiefkühltruhen
oder Blumenkübeln entsorgt werden, weil ihren egomanischen
Müttern zwar das Bumsen schmeckt, die daraus resultierende
Verantwortung jedoch scheißegal ist.
Die „reiferen“ Schichten unseres Volkes, die in
gehobener Position damit befaßt sind, ihre umfangreichen
Privilegien auszuschöpfen, verlangen uns Mal für Mal
Verständnis für diese armen, überforderten Frauen
ab. Und wir – wir sind schon nicht einmal mehr in der
Lage den Kopf zu schütteln über so viel Dreistigkeit.
Warum bekommt eine Mutter, die ihr Kind auf dem Gewissen hat
– oder zumindest haben sollte – nicht die ganze
Härte des Gesetzes zu spüren, die letzteres für
Mord vorsieht? Weil dieses Kind, ganz nach dem Motto: „Mein
Bauch und dessen Ausscheidungen gehören mir“ das
Kind auf eine Art Haushaltsgegenstand oder Haustier degradiert
ist? Weil wir permanent die Situation der überbelasteten
Frau ins Kalkül zu ziehen haben – wir, die Lumpenkerle,
die sich gemäß feministischer Lesart nach abgehaktem
Geschlechtsakt nichts eiligeres zu tun haben als uns zu verkrümeln?
Muß sich jeder Mann unter Gottes weitem Himmel mit dem
Urteil über solche Frauen zurückhalten, ob dieser
Urschuld?
Ja, Väter, die solche Verbrechen mitzuverantworten haben,
gehören in gleichem Maße auf die Anklagebank! Väter
aber, die von Macht mißbrauchenden Familiengerichten und
Jugendämtern an einer erfolgreichen Intervention verhindert
wurden, sollen die Reihen der Anklage verstärken. Und es
soll gerichtet werden nicht nur über die gottvergessenen
Frauen, die ihre Kinder vergehen und verkommen lassen, sondern
auch über die staatlich bestallte Helferszene die ihr Gewerbe
mit tödlicher Dummheit und Fahrlässigkeit betreibt.
Desungeachtet, zu lange schrie die Gesellschaft nach dem American
Way of Live – dessen Credo Herr Bajun bereits nannte:
Jeder für sich und Gott für uns alle!
Die nachfolgende, immer verwahrloster aufwachsende Generation
wird das Problem potenzieren, bis wir uns in dem von den alten
Griechen orakelten Eisernen Zeitalter wiederfinden.
Nein, bald ist Gott gegen uns alle – da wir gegen uns
sind. Das Schicksal des Nächsten juckt uns nicht mehr.
Vereinsamte Menschen sterben in ihren Wohnungen und werden erst
geborgen, wenn der Gestank der Leichenfäulnis bereits das
Haus verpestet. In einem solchen Klima des Werteverfalls und
der schwindenden Verantwortung für den Nachbarn blüht
das Wesen der Asozialität regelrecht auf. Pfui Teufel!
Leichen wurden in unserer Gesellschaft schon als Sondermüll
deklariert. Das ist eine unsagbare Abstrusität, bei der
noch unseren Großeltern speiübel geworden wäre.
Vom Unfaßbaren wie vom Donner gerührt hätten
sie die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.
Die neue Fraktion der asozialen Gebärmaschinen ebnet den
Weg zu der grausamen Normalität, daß bald auch Lebende
– erst Kinder, dann Alte und dann Schwache ihren Platz
in derselben Kategorie zugewiesen bekommen.
Wie schon Herr Bajun lakonisch bemerkte: Schöne neue Welt…