Der Autor besuchte
in Brandenburg an der Havel die Joliot-Curie-Oberschule, die
Juri-Gagarin-Oberschule (Stammsitz der Saldria), die Wilhelm-Pieck-Oberschule
mit erweitertem Russischunterricht, die Betriebsberufsschule
des SWB „Max Maddalena“, wo er eine Berufsausbildung
mit Abitur abschloß. An der Humboldt-Universität
zu Berlin und der Freien Universität Berlin studierte er
Medizin und Chemie und arbeitet gegenwärtig als Medien-
und Informationsspezialist am Museum der Stadt Brandenburg an
der Havel. Ein durch und durch märkischer Schüler…
Die Entwicklung des Schulwesens
in der Mark Brandenburg
Auftragsarbeit für die BRAWO (Brandenburger
Wochenblatt)
Michael L. Hübner
Die Schule hat die Aufgabe,
junge Menschen auf das Leben vorbereiten, sie auszubilden und
fit zumachen für den Platz, für den sie einst in der
Gesellschaft bestimmt sind. Schulen geben das Rüstzeug,
vermitteln das erforderliche Wissen.
850 Jahre Mark Brandenburg sind beinahe gleichzusetzen mit 850
Jahren organisiertem Schulwesen in dem Land zwischen Elbe und
Oder. Wenn die Betonung dabei auf dem Begriff „organisiertes
Schulwesen“ liegt, so sei Wert darauf gelegt, dass die
wendischen Stämme, welche auf dem Gebiet der späteren
Mark siedelten, die Erziehung ihrer Kinder keineswegs vernachlässigten.
Dieser Erziehung lag nur eben eine andere Form zugrunde. Die
„Schule“ des Slawen war die ihn umgebene Natur,
waren die Eltern, Großeltern, Verwandten. Der junge Stodorane
(Heveller) oder die kleine Sprewanin wurden seit frühester
Kindheit an alle Arbeiten der Dorfgemeinschaft herangezogen,
lernten zu jagen, zu fischen, den Boden zu bestellen, zu töpfern,
zu weben, den Waldfrüchte zu nutzen, lernten die Zeichen
der Natur zu deuten. Ihre Schule war die Schule des Überlebens.
Keinesfalls darf man diese Art des Wissenserwerbs als primitiv
oder als dem späteren christlichen Schulwesen unterlegen
etikettieren. Jene Ausbildung war perfekt auf die Erfordernisse
der damaligen Gesellschaftsform und des Lebens vor über
tausend Jahren abgestimmt und wenn sich ein moderner märkischer
Zeitgenosse in den gewaltigen Wäldern des Nordens verirren
würde, dann gäbe er sicher viel um die Kenntnisse
seiner wendischen Vorfahren.
Natürlich kannten die Slawen auch schon spezialisierte
Ausbildungen. Besonders begabte Jungen wurden beispielsweise
zu Priestern ausgebildet, deren Wirken das Leben der Stämme
nachhaltig beeinflußte.
Mit der Eroberung der Mark änderten sich die Verhältnisse
einschneidend.
Dörfer und Städte wurden angelegt, verhältnismäßig
große Menschenmassen zogen in die von Deutschen besetzten
Gebiete. Gemarkungen wurden abgesteckt, Besitz- und Abhängigkeitsverhältnisse
gestalteten sich. Das bedeutete eine Revolution in der Organisation
menschlichen Zusammenlebens. Dieser Umbruch schuf neue Erfordernisse.
Erstmalig etablierten sich Verwaltungen, deren Aufbau und Struktur
die Siedler aus ihrer Heimat mitbrachten. Nun kam das alles
nicht von ungefähr: Die Kirche, die ihren Weg maßgeblich
in der hoch entwickelten Zivilisation und Staatskultur des Alten
Rom gemacht hatte und die nunmehr auf dem Gebiet der organisierten
Besiedlung der zukünftigen Mark Brandenburg Pionierarbeit
leistete, brachte einen ungeheuren Erfahrungsschatz und bestausgebildete
Spezialisten mit.
Diese Leute mußten grundsätzlich andere Künste
beherrschen, als die slawischen Fischer und Bauern.
Lesen, Schreiben, Grammatik, Arithmetik, Geometrie, Dialektik
und Logik, Rhetorik, Musik, und Astronomie waren die Fächer,
deren Fähigkeiten für verantwortliche Positionen gebraucht
wurden. Naturgemäß bildete die Kirche ihren Nachwuchs
an Schulen aus, die unmittelbar an die Domkirchen der neugegründeten
Diözesen angeschlossen waren. Somit finden wir die ersten
märkischen Schulen an den Bistümern von Havelberg
und Brandenburg. Auch die Klöster der in die Mark einziehenden
Orden bildeten aus. All diesen Bildungseinrichtungen war gemein,
dass sie über Bibliotheken verfügten, in denen das
bereits umfängliche Wissen ihrer Zeit gespeichert war.
Bibliotheken galten in jener Zeit, als wertvolle Bücher
nicht selten als Staatsgeschenke den Besitzer wechselten, als
wahre Schatzkammern. Zöglinge dieser Schulen stellten den
klerikalen Nachwuchs und fungierten oft als Berater ihrer Herrscher,
die in der Zeit des Mittelalters nur selten lesen und schreiben
konnten.
Brekow nennt als ersten Brandenburger Lehrer einen Dietrich,
beurkundet im Jahre 1209.
Während in den dörflichen Gemeinschaften – auch
der Neusiedler – noch alles beim Alten blieb, war dem
erstarkenden Bürgertum in den Städten sehr daran gelegen,
die Bildung seiner Jugend zu befördern. Zunächst wurden
die Schüler, an Schülerinnen war vorerst noch nicht
zu denken, an den kirchlichen Schulen untergebracht. Deren Kapazität
war jedoch bald erschöpft, was infolge zur Gründung
von öffentlichen Schulen führte.
Diese Schulen folgten jedoch noch keineswegs einem einheitlichen
Lehrkonzept, noch wurden an die Lehrkräfte besondere Anforderungen
gestellt. Mit dem Begriff „Pädagogik“ und seinen
Inhalten hätte niemand etwas anzufangen gewußt. Oftmals
wurden die Kinder von Geistlichen unterrichtet, da diese Bevölkerungsgruppe
selbst eine Ausbildung genossen hatte und vor diesem Hintergrund
befähigt war, Wissen zu vermitteln. Allerdings war der
Unterricht oft mehr als dürftig, da die niedere Geistlichkeit
mehrheitlich selbst kein hohes Bildungsniveau vertrat. Der bedeutendste
Brandenburger Bischof, Stephan Bodecker (1384-1459), der selbst
in ärmlichsten Verhältnissen in Rathenow aufgewachsen
war und sich zielstrebig nach „oben“ gearbeitet
hatte, bemühte sich unter anderem sehr auf dem Gebiet der
Schulausbildung für Kinder und rief auf der Provinzialsynode
vom 3. Juni 1436 die Pfarrer seiner Diözese dazu auf, in
den Gemeinden Schulbücher anzuschaffen. Man bedenke, daß
Gutenberg erst im Jahre 1450 mit dem Buchdruck begann und Bücher
nach wie vor zu den beinahe unerschwinglichen Luxusgütern
zählten.
Zunächst lag das Primat der Ausbildung auf einer christlichen
Unterweisung. Die Eckpfeiler der Heilsgeschichte zu kennen,
rangierte weit vor den Künsten des Lesens, Schreibens oder
Rechnens. Wie hart das Leben der Schüler zu dieser Zeit
war, davon vermitteln die autobiographischen Erinnerungen des
großen deutschen Humanisten Johannes Butzbach, genannt
Piemontanus, einen erschütternden Eindruck, die der Gelehrte
1505 unter dem Titel „Odoeporicon“ für seinen
damals selbst schulpflichtigen Halbbruder Philipp schrieb.
Die Reformation brachte einschneidende Veränderungen. Durch
die von reformatorischen Kräften zu verantwortende Säkularisation
kam es zum Niedergang des katholischen Klerus in der Mark Brandenburg.
Die Kirchen gingen in protestantischen Besitz über, die
Klöster wurden leergezogen. Somit hörten diese Einrichtungen
auf als Bildungsträger zu fungieren. Im Zuge dieser Entwicklung
kam es zur Neugründung städtischer Schulen, erstmalig
wurden an speziellen Instituten, sogenannten Jungfernschulen,
auch Mädchen ausgebildet. Der Umfang der Ausbildungsinhalte
stand jedoch noch weit hinter dem der Knaben zurück. Naturwissenschaften
blieben den Mädchen vorenthalten. Statt dessen wurde auf
eine fundierte Erziehung in allen Fächern der Hauswirtschaft
Wert gelegt.
Die Zeit der Renaissance brachte durch die erschwinglicher werdenden
Bücher und Schreibmaterialien dem Schulwesen einen immensen
Anschub, der erst durch die verheerende Epoche des Dreißigjährigen
Krieges nachhaltig unterbrochen wurde. Während dieser Zeit
des Schreckens konnte keine kontinuierliche Ausbildung mehr
gewährleistet werden. Der rapide Verfall staatlicher Autorität
wirkte sich bis in die Schulen aus, die immer weniger in der
Lage waren, der verrohenden Jugend Herr zu werden. Tödliche
Auseinandersetzungen zwischen Schülern nahmen zu. Andere
Schüler schlossen sich den vorbeiziehenden Heeren an. Die
„arbeitslos“ werdenden Lehrer mußten sich
nach einem anderen Broterwerb umsehen. Die mühsame Konsolidierung
zur Zeit des Barock begann mit der Einführung der Schulpflicht
im Jahre 1662 durch den Großen Kurfürsten. Diese
aber war, besonders im ruralen Bereich sehr schlecht durchzusetzen,
da die Kinder ärmerer Schichten fest in den Broterwerb
der Familie integriert waren. Selbst harte Geld- oder Karzerstrafen
konnten der verbreiteten Schulbummelei nicht abhelfen. Friedrich
Wilhelm I. deklarierte für Preußen im Jahre 1717
noch einmal ausdrücklich die allgemeine Schulpflicht. Mit
den Edikten, die der Soldatenkönig und sein Sohn, Friedrich
der Große, bezüglich der Schulpflicht erließen,
sollte in erster Linie die Erziehung des jungen Preußen
zu einem gehorsamen „Landeskind“ sichergestellt
werden. Friedrich der Große, der seinen während der
Kriege seiner Regierungszeit invalide gewordenen Unteroffizieren
bevorzugt Versorgungsposten auch als Schullehrer zuweisen ließ,
stellte damit die Weichen für eine harte, auf Disziplin
und Strenge ausgerichtete Erziehung der Kinder. Der Rohrstock
und die Prügelstrafe verrichteten in märkischen Schulen
ihren Dienst wie beim Kommis.
Eine Abkehr von dieser Prügelpädagogik erwuchs ausgerechnet
aus den Reihen des preußischen Offizierskorps: Eberhard
von Rochow begann auf seinem Gut Reckahn ein einzigartiges Experiment:
Im Jahre 1772 legte der preußische Offizier und Gutsbesitzer
Friedrich Eberhardt von Rochow in dem bei Brandenburg an der
Havel gelegenen Dorfe Reckahn ein Schulbuch vor, das den Auftakt
zu seiner Schulgründung 1773 in Rekahn bildete. Rochows
von der Aufklärung getragener Ansatz war dabei, das Leben
der Landbevölkerung durch Bildung explizit zu verbessern.
Die Aufklärung wollte dabei die Schichten der Bevölkerung
erreichen, die vorher vom Bildungsprivileg ausgeschlossen waren.
Man stellte sich die Arbeit in etwa wie die Trockenlegung eines
Sumpfes vor, eines Morastes, der aus Unbildung, dumpfem Aberglauben
und Spökenkiekerei bestand. Die herrschende Gewalt und
die Roheit im Umgang der unteren Gesellschaftsklassen miteinander
sah man als Ausdünstungen dieses Sumpfes. Mit der Bildung,
der Möglichkeit, Prozesse und Geschehnisse hinterfragen
und verstehen zu können, hoffte man, den Menschen zu einer
besseren, edleren Wesensart erziehen zu können.
1776 folgte der legendäre „Kinderfreund“ aus
Rochows Hand, ein Buch, das europaweit Furore machte und Rochows
pädagogisches Format unterstrich. Dieses erste deutsche
Lesebuch für die Volksschule glänzte durch ein in
didaktischer und methodischer Hinsicht völlig neues Konzept.
Da es neben der bezeigten Liebe und dem Verständnis für
Kinder, die nicht länger als „kleine Erwachsene“
betrachtet wurden, erschwinglich war und auch den Lehrern ein
gutes Handwerkszeug bot, wurde der „Kinderfreund“
zu einem in viele europäische Sprachen übersetzter
und in vielen Neuauflagen erschienener Verkaufsschlager.
Der von Rochow mitinitiierte Reformvorstoß trägt
in seinem Grundgedanken bis heute.
1779 folgte dann der zweite Band des „Kinderfreundes“.
Das Werk vermochte die neue Richtung weg von der alten, einseitig
katechistisch geprägten Bildungsidee wirksam zu verbreiten.
Der Reformpädagoge und „lebende“ Kinderfreund,
Lehrer Heinrich Julius Bruns, begleitete ab 1773 mit großem
Geschick die Reform seines Dienstherrn von Rochow auf Reckahn
und half, die erarbeiteten pädagogischen Theorien umzusetzen.
Nun war der
Ansatz, auch den plebejischen Schichten einen breiteren und
vor allem leichteren Zugang zur Bildung zu öffnen, weder
aus der Luft gegriffen, noch von alleiniger christlicher Nächstenliebe
getragen. Gerade in der zahlenmäßig ungleich stärkeren
Bevölkerungsgruppe der Stadt- und Landarmen schlummerte
oft großes Potential. Die Beispiele des Freiherrn von
Derfflinger oder des oben erwähnten Bischof Stephan mögen
diesen Umstand hinreichend belegen. Dieser Schatz mußte
gehoben und sinnvoll im Staatsdienst verwendet werden. Dieses
zu leisten oblag in aller Regel den höheren Schulen, aus
denen später die Gymnasien hervorgingen. Mit einem meist
vom Landesherren oder Gemeinde gestifteten Stipendium konnte
auch der Unterricht von Begabten der unteren sozialen Schichten
gefördert werden. Solche Schulen, welche die Schüler
fit für das Studium an einer Universität machten,
waren in der Mark unter anderem
Das
Joachimsthaler Gymnasium
Eingeweiht im Jahre 1607 in Gegenwart des Kurfürsten sollte
diese „Fürstenschule“ das Elite-Gymnasium der
Mark schlechthin werden. Die Hohenzollern stifteten sowohl die
Schule als auch die dazugehörige Kirche, das Internat und
den Unterhalt der Lehrer und Schüler. Ziel war es, dass
die Absolventen „hernach mit Nutzen ihre Studia auf Unsere
Universitaet Frankfurth an der Oder continuieren und fortstellen,
und wir und Unsere Nachkommen sie in Predigt-Ambt und sonsten
nützlich zu gebrauchen haben möchten“.
Die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges jedoch
setzten dem Gymnasialbetrieb ein rasches Ende. In Berlin neuangesiedelt
generierte diese hervorragende Ausbildungsstätte tatsächlich
zu Kaderschmiede der preußischen Kultur und Verwaltung.
Hier „erfand“ Rektor Meierotto das Abitur, dessen
erfolgreicher Abschluß für eine Immatrikulation obligat
wurde.
Das
Gymnasium zum Grauen Kloster
Im Jahre 1574 gründete sich in Berlin im ehemaligen Franziskanerkloster
in der heutigen Grunerstraße das Gymnasium Zum Grauen
Kloster. Diese Bildungseinrichtung kann als die erste Landesschule
der Mark Brandenburg angesehen werden und entwickelte sich zu
einer bis heute bestehenden Eliteschule.
An ihm wirkte unter anderem der Turnvater Jahn, sowohl als Schüler
und auch später als Lehrer. Der spätere Reichskanzler
Otto von Bismarck legte hier 1832 sein Abitur ab. Schadow und
Schinkel wurden an dieser Schule auf die Universität vorbereitet
Die
Ritterakademie Brandenburg
1704 wurde am Dom zu Brandenburg die Ritter-Schule ins Leben
gerufen, die 1705 den Lehrbetrieb aufnahm. Die Söhne des
märkischen Adels sollten hier auf eine Aufgabe im brandenburgisch-preußischen
Staatswesen vorbereitet werden. 1717 in Ritter - Collegium umbenannt,
wurde sie dann 1803 zur Ritter-Akademie erhoben. Ein mindestens
zweijähriger Besuch einer solchen Lehreinrichtung war seit
1729 für zukünftige Anwärter auf den höheren
Staatsdienst obligat. Der im Abschnitt Rekahn besprochene preußische
Schulreformer Friedrich Eberhard von Rochow war Zögling
der Ritterakademie. Prominentester Absolvent der Ritterakademie
ist der langjährige FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff. Die
Nationalsozialisten konnten ihr Credo einer „sozialistischen“
Volkspartei nicht mit den alten Eliten vereinbaren und lösten
die Ritterakademie 1937 auf. Ihre Schüler wurde von einem
anderen legendären Brandenburger Gymnasium übernommen:
der Saldria.
Die
Saldria
Der Kirche der Altstadt,
St. Gotthardt, war schon im Jahre 1252 eine Schule angeschlossen,
die Schüler im Lesen, Rechnen, Latein und Kirchengesang
ausbildete. 1552 wurde dann gegenüber dem Westwerk St.
Gotthardts die Lateinschule erbaut, die schon auf dem Gemälde
des Zacharias Garcaeus zu sehen ist und heute die Galerie Sonnensegel
beherbergt. Allerdings war dieses Haus der wachsenden Schülerzahl
bald nicht mehr gewachsen. 1589 machte die Witwe des kurfürstlichen
Oberkämmerers Mathias von Saldern, Gertrud von Saldern,
der Altstadt Brandenburg auf Betreiben des ihr befreundeten
Bürgermeisters der Altstadt, Simon Roter das Gelände
und die darauf stehenden Gebäude des ehemaligen Bischofsitzes
an St. Gotthardt der Altstadt Brandenburg unter der Auflage
zum Geschenk, dort eine Schule zu betreiben, die fortan die
„Salderische Schule“ genannt wurde und die bisherige
Lateinschule in sich aufnahm. Vor dem Dreißigjährigen
Kriege unterrichteten bedeutende Lehrer mehr als 400 Schüler
. 1797 wurde dann die Saldria mit der Neustädtischen Gelehrtenschule
an der Katharinenkirche zur Saldernschen Bürgerschule vereinigt.
1867 bezog die Saldria ihr neues Domizil am Brandenburger Salzhofufer,
das zum Ende des Zweiten Weltkriegs durch einen Bombentreffer
zerstört wurde.
Nun lag es
im Interesse des Herrscherhauses, in der Mark selbst eine Universität
zu installieren, die den politischen Vorgaben des Kurfürsten
Folge zu leisten verpflichtet war. Wurde der Personalbestand
der Staatsverwaltung ausschließlich von Absolventen ausländischer
Hochschulen beschickt, so lief die Regierung Gefahr, recht unsichere,
auf andere, regierungsfremde Ideen gepolte Staatsdiener an Bord
zu holen. Auf die Dauer konnte ein solches Verfahren die Gewißheit,
sich auf loyale Beamte stützen zu können, erheblich
unterminieren. So war es nur folgerichtig, mit dem Segen des
Papstes Julius II. und des deutschen Kaisers
Die
Viadrina
zu gründen. Am 15. März 1506, also 11 Jahre vor den
reformatorischen Hammerschlägen an die Tür der Schloßkirche
zu Wittenberg, bekam Brandenburg seine erste Universität
– die Alma Mater Viadrina zu Frankfurt an der Oder. Bis
zu ihrer Verlegung nach Breslau im Jahre 1811 immatrikulierten
sich Männer wie der Reichsritter Ulrich von Hutten, der
Theologe und Bauernführer Dr. Thomas Münzer, die Brüder
Humboldt, der Frankfurter Offizier und Dichter Heinrich von
Kleist und der Sohn des großen Bach, Carl Philip Emanuel,
an der Brandenburgischen Landesuniversität. Revolutionär
war, dass an der Viadrina mit Genehmigung des Großen Kurfürsten
seit 1678 auch erstmals Juden zum Studium zugelassen wurden.
Die Ausbildung umfaßte die vier klassischen Fakultäten:
Medizin, Jurisprudenz, Philosophie und Theologie. Erst im Jahre
1811 begann die Viadrina gegen die zu Berlin neugegründete
Friedrich-Wilhelm-Universität, die nachmalige Humboldt-Universität,
an Attraktivität zu verlieren. Ihre größte Demütigung
erfuhr sie jedoch 1737 von dem sehr pragmatisch orientierten
und aller Scholastik abholden Soldatenkönig, der auf den
Gedanken verfiel, in seiner und der Anwesenheit des Hofnarren
Jakob Salomon Morgenstern eine Vorlesung mit dem Titel Vernünftige
Gedanken von der Narretei über die Sinnlosigkeit universitären
Treibens halten ließ. Während dieser Veranstaltung
hatten die Professoren ihre eigene Lehrtätigkeit ad absurdum
zu führen. , Für den Soldatenkönig war das ein
Spaß, den manche Studenten auch fröhlich quittierten.
Dennoch ist diese unschöne Episode maßvoll zu bewerten,
da der Soldatenkönig sich sowohl für die Erweiterung
des Lehrbetriebes an der Frankfurter Universität hinsichtlich
der Staats- und Verwaltungswissenschaften engagierte, als auch
in Berlin maßgeblich zur Gründung und Entwicklung
der Charité auch als akademischer Lehranstalt beitrug.
Das ausklingende 19. Jahrhundert begann dann damit, schon in
den Schulen exzessiv den Charakter der anvertrauten Jugend im
Sinne der herrschenden Politik zu überformen. Der Anspruch
eine vaterlandstreue Jugend mit unseligem Drang zum Opfermut
und zur aggressiven Verwegenheit jedem Feind gegenüber
heranzubilden, half die Grundlagen für das Elend des 20.
Jahrhunderts zu legen. Natürlich traten vielen guten Lehrern
die Tränen in die Augen, wenn sie ab 1914 die Namen gefallener
Schüler in den Todesanzeigen ihrer Zeitungen lesen mußten.
Aber waren es nicht just diese Lehrer, die ihre Schüler
singen hießen: „Gen Frankreich, gen Frankreich wollen
wir ziehen…“? Nun, die Schüler zogen gen Frankreich,
und viele blieben dort – tot. Dieser Hurrapatriotismus
wurde von der nationalsozialistischen Schule aufgenommen und
sublimiert. Der pubertäre Drang der Jugend, sich fortwährend
in Gewalt- und Heldentaten beweisen zu müssen, wurde von
der nationalsozialistischen Schule aufgenommen und zielgerichtet
sublimiert. Die rassische Irrlehre, der nationalsozialistische
Expansionsgeist, Lerninhalte, die strikt auf militärische
Belange hin entwickelt wurden, bestimmten von nun an den Stoff,
der unterrichtet wurde.
Das nachfolgende kommunistische Schulmodell mit seinen Polytechnischen
Oberschulen und Erweiterten Oberschulen bot zwar eine an sich
hervorragende und breite Grundausbildung, konnte sich aber auch
ihrerseits dem doktrinären Griff des Staates nach der Erziehungshoheit
nicht entziehen. Erziehung war Klassenauftrag! Heranzubilden
waren sozialistische Schülerpersönlichkeiten, die
sich nahtlos in das Gefüge des Realsozialismus einzuordnen
hatten. Wessen diesbezügliche Bereitwilligkeit zu wünschen
übrig ließ, konnte schon mal seine Ausbildung in
Jugendwerkhöfen fortsetzen. Deren konsequente „Pädagogik“
genoß einen zweifelhaften Ruf. In Lehnin befand sich eine
solche Erziehungsanstalt. In der Schülergeneration des
Autors wurde ausnahmslos mit Scheu und Respekt von dieser Institution
gesprochen. Sehnsucht, den Jugendwerkhof von innen kennenzulernen,
hatte wirklich niemand.
Mit der Wende erlebte das märkische Schulwesen wieder einmal
eine Phase der tiefgreifenden Reorganisation. Das westdeutsche
Bildungssystem wurde eingeführt und viele etablierte Werte
und Wahrheiten verloren buchstäblich über Nacht ihre
Gültigkeit. Ob ein Abwägen der konträren Auffassungen
zu Bildungsweg und -inhalten sinnvoll erscheint, mögen
zukünftige Generationen entscheiden. Dass aber Diskussionsbedarf
besteht, steht nach PISA und ausgerufenem Bildungsnotstand fest.
Die Neuansiedlung von Fachhochschulen und Universitäten
seit der Wende, so die Neugründung der Viadrina zu Frankfurt
an der Oder respektive die Gründung der Fachhochschule
Brandenburg an der Havel sind aller Ehren wert. Dennoch müssen
gerade solche Einrichtungen auf gut vorbereitete Neuzugänge
reflektieren können, wenn sie mit effektiver Forschung
und Lehre ihren Standorten dienlich zu sein wünschen.
Solche Grundsteine zu legen kann nicht allein dem Schulwesen
überlassen werden. Lehrer können noch so brillante
Pädagogen sein – die charakterliche Prägung
ansonsten sich selbst überlassener Kinder und Jugendlicher
ist nicht von ihnen allein zu schultern. Das ist zwingend eine
gesellschaftsübergreifende Pflicht, an der im wahrsten
Sinne des Wortes die Zukunft der Gesellschaft hängt.