Radau
in der Silvesternacht
B. St. Fjøllfross
Am heutigen 31. Dezember 2006 geht das Jahr 2006 zu Ende und
das Jahr 2007 beginnt um Mitternacht. Was für eine banale
Erkenntnis, nicht wahr?
Aber wer sagt das? Die Chinesen etwa, die doch immerhin ein
Viertel der Weltbevölkerung darstellen, die Maya, die Juden,
die Araber, die russisch-orthodoxe Kirche, die hinter dem Ikonostas
noch einen julianischen Kalender zu hängen hat? Oder reden
die Klick-Schnalz-Neger in der Wüste Kalahari, die Australneger
oder die Indios im Amazonasurwald etwas vom Jahreswechsel 2006/2007?
Nein, es ist die verschwindend geringe Anzahl der Katholiken
und Protestanten, die sich vor einem halben Jahrtausend entschlossen,
den reformierten, den gregorianischen Kalender anzunehmen, weil
dieser „genauer“ ging. Allein durch ihr aggressiv
– kolonialistisches Gebaren während der vergangenen
Jahrhunderte konnten diese kalendarisch reformierten Europäer
dem Rest der Welt ihre Vorstellungen zur Zeiteinteilung aufobtruieren.
Das bringt mich darauf, Sie zu fragen, was denn ein solches
Kalendarium und der Nordpol gemeinsam hätten. Na was wohl?
Richtig: Beide sind vom Menschen ersonnene Kunstgebilde, die
beinahe jeden realen Bezugs entbehren. Es sind Orientierungshilfen
für den Nackten Affen in Raum und Zeit, für den Rest
von Flora und Fauna völlig uninteressant.
Doch der gerade dieser „Rest“ unserer Mitwelt wird
regelmäßig anläßlich des gregorianischen
Jahreswechsels in Mitleidenschaft gezogen. Das knallt, sprüht
Funken und dröhnt, explodiert und macht jedes arme Vieh
halb wahnsinnig vor Angst. Denn diese vermeinen nicht anders,
als daß die Welt unterginge. Doch wann hätte der
Nackte Affe je an die Sorge der Mitkreatur auch nur einen wertvollen
Gedanken verschwendet, zumal das reflektierende Denken bei den
meisten Menschen eine so kostbare, weil seltene Gabe ist, mit
der extrem gehaushaltet werden muß.
Was soll das Theater der Knallerei eigentlich? Die Chinesen
hatten seinerzeit damit angefangen, um die bösen Geister
ihres Kosmos zu beeindrucken und in Schach zu halten. Nun gut.
Aber wie das bei den Europäern so ist: Außer die
Ersparnisse fremder Völker interessierte die breite Schicht
der Bevölkerung bestenfalls der exotische Mummenschanz
dieser Ethnien. So übernahm man von denen Indianern noch
schnell das Lungeteeren mit dem Rauch verbrannter Tobak-Pflanzen,
ehe man die Raucherfinder ausrottete. Nachdem man den Chinesen
die Geheimnisse der Böllerei abgeluchst hatte, hätte
man sich der gelben Schlitzaugen auch gerne entledigt –
aber leider, leider… Es waren damals schon zu viele zum
Totschlagen.
Bezeichnend ist, daß man von China sonst nicht viel lernte.
Und viel hätte man lernen können – denn das
Reich der Mitte war eine gewaltige Kulturnation, die dem Rest
der Welt in vielen Dingen um mehr als Nasenlängen voraus
war. Doch was interessieren die Philosophie Lao-Tse’s,
die nautische und diplomatische Kunst Zheng Ho’s, die
Gedichte Xutang Chiu’s, die konfuzianische Staatsorganisation,
die Herstellung von hauchzartem Porzellan oder das Anlegen kunstvollster
Gärten. Das gilt dem gemeinen Nackten Affen alles als überflüssiger
Quatsch. Knallen muß es, rumsen und funkeln, nur das macht
das Affenherz lustig springen. Da glänzt das Auge des „Homo
Sapiens“. Egal, daß die Katze sich mit großen,
angstgeweiteten Augen unter den Mauervorsprung drückt,
der Hund seinen Schwanz zwischen den Beinen nicht mehr hervorkriegt,
der Leitkeiler nicht mehr weiß, wohin seine Rotte in Sicherheit
bringen und der Fuchs nicht mehr, wo er sich verstecken soll.
Alles egal. „Ooooh“ und „Aaaah“, wenn
wieder ein paar Raketen am dunklen Himmel mit großem Knall
zerplatzen und ihre Funken hernieder regnen. Wenn man dann noch
angesoffen ist, ist’s gleich doppelt so schön. Nur
„ich, ich, ich“ brüllt der besoffene Nackte
Affe laut, und man fragt sich mit unserem Großvater Heine,
wie lange Gott der Gütige seinen unschuldigen Kreaturen
noch die Knechtschaft unter ein so unwürdiges und verantwortungsloses
Subjekt wie SEINEM „Ebenbild“ zumuten will.
Da schießen die Menschen Milliarden Dollar ihrer Arbeitskraft
in den Himmel und freuen sich daran, wie diese Dollars, wie
die Früchte ihrer Arbeit mit Knall und Funken zerplatzen.
Es schert sie nicht im Mindesten, daß sie mit dem gleichen
Geldeinsatz diese Welt für alle Kreaturen einen gut Teil
lebenswerter machen könnten. Sag ihnen das und sie werden
Anstalten machen, dich zu lynchen. Denn du willst ihnen ihr
Vergnügen nehmen, auf das sie, und nur sie ein gottgegebenes
Recht haben. Und - da du der einsame Rufer bist, werden sie
dich mit dem Recht der Mehrheit zu dem verrückten, dem
gefährlichen Spinner erklären. Du bist der Irre, nicht
sie. Denn – was alle tun ist recht getan! Das ist übrigens
die Attitüde, die das Leben des Professors Friedrich von
Spee, des Hexenanwaltes, und so vieler anderer kluger Aufrechter
so akut gefährdete, wenn sie die Vernunft gegen die Torheit
der Massen stemmten.
Und so blasen sie auch an diesem Tage wieder die Millionen in
die Luft, anstatt ihrem zweibeinigen Nachbarn in der Wohnung
nebenan oder ihrem vierbeinigen Nachbarn draußen im Wald
eine kleine Freude zu bereiten. Dabei fallen sich viele in die
Arme und geloben für das anbrechende Jahr Besserung betreffs
vieler kleiner Laster. Man lausche ihnen mit gespitzten Ohren:
Gesegnet sei, wer das Gelöbnis vernimmt, das seltener noch
ist, als Platin auf dem Kartoffelacker: „Ich will im neuen
Jahr meiner Dummheit entsagen und ein verantwortungsvoller,
nachdenkender und meine eigenen Handlungen bewußt kontrollierender
Mensch werden!“