Deutsche Kinder in
der Hölle
Don Miquele Barbagrigia
Sie wissen nicht einmal,
was Kindheit bedeuten könnte. Ihr junges Leben endet, bevor
es begann. Die paar Tage, die sie unter uns weilen durften, waren
angefüllt mit Folter, Tortur und endloser Quälerei –
bis ein gnädiger Tod sie endlich erlöste.
Wer ihre Peiniger waren? Nein, nicht der böse Strolch aus
dem Busch. So grauenhaft es klingt – die eigenen Eltern
waren die Henker.
Gerade die Menschen, auf die ein Kind in seiner Entwicklung am
Dringendsten angewiesen sind, marterten sie zu Tode.
Herbst 2006 in Deutschland – Bremen, Sangerhausen, Zwickau,
München. Orte, deren Namen uns im Zusammenhang mit den jüngsten
Familientragödien nicht minder erschüttern sollten als
Buchenwald, Oranienburg-Sachsenhausen oder Neuengamme: das KZ
in der heimatlichen Wohnung! Beim Schreiben dieser Zeilen möchte
die Hand versagen und zittert.
Was sind das für „Eltern“? Sind sie Horrorfilmen
entsprungene Monster, Ausgeburten der Hölle, für die
das Gefühl sie zu halten gewillt ist?
Der bei vielen dieser Gestalten zu konstatierende, suchtbedingte
Alkohol- und Drogenkonsum weist deutlich auf charakterlose, haltlose
und innerlich verwahrloste Figuren hin, die mit dem eigenen Leben
nicht zu Rande kommen. Werte, Normen, Ideale sagen diesen Menschen
nichts. Verantwortung hat für sie keine Bedeutung.
Es stellt sich die Frage, warum das so ist. Wer hat versäumt,
diese degenerierten Persönlichkeiten gesellschaftskonform
zu prägen?
Die Antwort liegt auf der Hand: Letztendlich ist es die Gesellschaft
selbst!
Vielleicht ist es der Urbanisierung geschuldet, die mit der steigenden
Anonymität in ihrem Gefolge einen Verlust sozialer Kontrolle
nach sich zieht.
Reicht das aber aus, um einen Totalverlust selbst natürlicher,
angeborener Triebe zu erklären? Welches höhere Tier
würde so mit seiner Brut umspringen? Das gibt zu denken.
Es hat den Anschein, als seien diese Eltern seit Anbeginn selbst
jeglicher Zugang zu Wertebegriffen verschlossen worden. Ihnen
fehlt sogar die Ahnung von einer wie auch immer gearteten Verantwortung,
von Pflicht und Schuldigkeit!
Nun beginnt ein großes Palaver um Responsibilitäten
der staatlichen Organe. Sicher zu recht, denn hier wurde viel
und sträflich versäumt. Doch die Fürsorge-Organe
sind nur Pflasterkleber, deren kurative Maßnahmen das Übel
so wenig an der Wurzel zu packen vermögen, wie eben ein Pflaster
bei einem Beinbruch von nur geringem Nutzen ist.
In den Zwanziger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts monierten
sozialkritische Geister bereits, daß der Staat sich zwar
um die Ungeborenen melancholisch mache, gleichzeitig aber das
geborene Leben in sträflichem Maße sich selbst überläßt.
Diese Sicht der Dinge läßt sich 1:1 auf heutige Verhältnisse
übertragen. Kinder sollen allen Schutz und alle Fürsorge
genießen – begreifen denn die Schwadroneure solcher
Phantasien, daß ein Großteil der „Erwachsenen“
auf einem infantilen Entwicklungsniveau hängengeblieben ist
und von profitorientierten Canaillen, die sich Leistungsträger
der Gesellschaft nennen, bewußt auf dieser Ebene gehalten
werden?
Kinder bekommen Kinder – das ist die Realität. Dabei
ist nichts über das biologische Alter dieser Kinderzeugenden
und –gebärenden Männer und Frauen gesagt. Lediglich
deren mentaler Reifegrad ist entscheidend für das Heranwachsen
der nächsten Generation.
In einer Epoche, da sich ein übergeordneter Staat mehr und
mehr aus allen Bereichen des Lebens – oft mangels Masse,
Einflußmöglichkeit oder Interesse zurückzuziehen
beginnt, existiert auch kein fruchtbarer Boden für einen
allgemein verbindlichen Wertekanon mehr. Selbst wenn wir dessen
Rudimente betrachten, so finden sich immer weniger Autoritäten,
die diesen Verhaltenscodex ernsthaft vorleben. Somit entzieht
sich diesem Fundament eines zivilisierten Miteinanders jegliche
Legitimation, die demzufolge auch weder konsequent durchgesetzt
wird noch durchgesetzt werden kann. Die gräßlichen
Auswirkungen, die in der Folge dieser fatalen Entwicklung unvermeidlich
einher kommen, werden dann mit Entsetzen quittiert, mit einem
Pflästerchen beklebt, in den Medien diskutiert und dann der
nächste Tagesordnungspunkt in Angriff genommen. Da sich Meldungen
von solchen Katastrophen häufen werden, so begegnen wir bald
dem uns allen bekannten Abstumpfungs- und Gewöhnungseffekt.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird die letzte Möglichkeit
zur Korrektur vertan sein. Das Eiserne Zeitalter der alten Hellenen
beginnt bereits am Horizont heraufzudämmern.
Es ist wohl nicht verfehlt, das bewährte Engels’sche
Zitat zu bemühen, daß die Familie die kleinste Zelle
der Gesellschaft sei. Insofern kann sie, die Lebensrealität
der Gesamtheit aller Familien zu einem Durchschnittswert zusammengezogen,
ein durchaus zutreffendes Spiegelbild des gesellschaftlichen Ist-Zustandes
liefern. Wenn man diesen Gedanken weiterverfolgt, drängt
sich der Schluß auf, es müsse die Gesellschaft selbst
von innerlich morscher und hohler Substanz sein, wenn sich dergestalte
Auswüchse wie Pestbeulen an ihrer Oberfläche zeigen.
Einfacher ausgedrückt: „Vater Staat“ entwickelt
seinem Volke gegenüber zusehends dieselbe Vernachlässigung
und das gleiche Desinteresse, wie diese „Eltern“ ihrem
geschundenen Nachwuchs bezeigen. Das Einzige, was in diesem höllischen
Getriebe reibungslos funktioniert, sind die Transmissionsriemen
hinunter zur nächstniedrigen Übersetzung: Die unfähigen
Eltern geben oft nur die Erfahrungen an die nächst Schwächeren
weiter, die sie selbst im tagtäglichen Umgang mit Jenen machen,
die sie über ihren Köpfen fühlen.
Mit einiger Verzögerung wird sich der üble Kraftfluß
auch in die andere Richtung bewegen: Die Überlebenden des
familiären Horrors werden die Radikalen von morgen sein,
die ein ehemals funktionierendes politisches Gebilde so festfahren
werden, bis sich diese Spannungen wieder in apokalyptischen Eruptionen
entladen. Herzlichen Glückwunsch!
Doch unser Mitgefühl gilt an dieser Stelle in besonderem
Maße, die nicht oder wenn, dann nur als schwergeschädigte
Krüppel an Leib und Seele überlebt haben.
Wir können es nicht ändern. Wir stehen an Kindergräbern
und sind hilflos vor Kummer und Zorn. Was einzig trösten
mag: Den Chancenlosen blieb mit hoher statistischer Wahrscheinlichkeit
eine lebenslange Hölle erspart. Der Preis, den sie dafür
zu zahlen hatten, ist unvorstellbar und inakzeptabel – es
ist das berühmte Ende mit Schrecken anstelle des Schreckens
ohne Ende.
Die unfähigen Beamten der Jugendämter, die Canaillen
von familienbegleitenden Psychologen und die insuffizienten Richter
ab soll man zum Teufel jagen – auf das auch sie wenigstens
einmal die Hölle spüren mögen, die sie mit ihrer
eklatanten und blamablen Inkompetenz wehrlosen Kindern zumuten.
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