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Die Nachtigall und die Rose

Märchen von Oscar Wilde in der Reihe des Brandenburger Theaters „Erlesener Dom“

M. L. Hübner

Da hat dieser brillante Lyriker und Aphoristiker des viktorianischen Zeitalters also auch ein paar Märchen geschrieben. Dem Vernehmen nach entstanden diese Werke, die heute unbestritten der Weltliteratur zuzurechnen sind, um den Söhnen des Autors Unterhaltung zu bieten. Oscar Wilde – wie soll man ihn nur fassen? Tragische Existenz, brillante Existenz? Meister der englischen Sprache von geschliffenem Wortwitz, überragender Aphoristiker, Mann von beispielhafter Haltung, der noch in seiner Sterbestunde im Pariser Hotel d’Alsace ironisch drohend rief: „Entweder geht diese scheußliche Tapete - oder ich!“
Man kann diesem großen Literaten kaum anders gerecht werden, als das man ihn zu den Granden, zu den Peers des literarischen Großbritanniens zählt. Sein Untergang mit jungen Jahren, er starb völlig verarmt mit vierundvierzig Jahren, ist die Schande Englands und seines verspießerten Pharisäertums.



Frau Sänger, Herr Köhler und Frau Siegl (v.l.n.r.)


Diesem Manne nun widmete das Brandenburger Theater am Freitag, dem 12. Januar 2007 einen Abend in einem der Kurienhäuser des für uns Brandenburger wohl schönsten Domes der Welt. Frau Renate Siegl las mit geschulter und wohlakzentuierter Stimme drei der Kunstmärchen Herrn Wildes einem etwa zwei Dutzend Zuhörer zählenden Publikum vor, das nach dem berechtigt anhaltenden Schlußapplaus die Strapazen des mühseligen Findens der Kurie bei strömendem Januarregen längst überwunden haben dürfte. Sowohl die Atmosphäre in dem kleinen Saal des barocken Häuschens – die Theaterleute versäumten nicht, die der Kurie gegenüberliegende Remise anzustrahlen – als auch die beiden begleitenden Musiker, Frau Sänger an der Geige und Herr Köhler am Cello, wärmten Herz und Seele und entführten den Zuhörer in die von Frau Siegl lebhaft in Szene gesetzte Märchenwelt des Oscar Wilde. „Nachtigall und Rose“, „Der selbstsüchtige Riese“ und „Der Glückliche Prinz“ gaben Einblick in die Wilde’sche Gefühlslandschaft.
Nun hat es der moderne Rezipient dieser Märchen häufig schwer, sich in die romantische, teils ins Süßliche abgleitende Schwere der Wilde’schen Phantasie hineinzufinden. Rosen und Nachtigallen, Tod – des Schlafes Bruder, eine Christophorus-Adaption im „Selbstsüchtigen Riesen“, die Freundschaft einer Schwalbe mit dem Denkmal eines einst glücklichen Prinzen bis in den Tod – und alles, alles endet stets und ständig im versöhnenden Paradiese. Hmm. Tja. Kaum ein bis zwei Dekaden nach dem Ableben Oscar Wildes begannen die Trotzköpfchen und Nesthäkchen Romane das Backfischpublikum zu begeistern, die Gartenlaube versorgte ihren Leserkreis mit Jugendstil-verbrämtem Kitsch, Hedwig Courths-Mahler stand schon in den Startlöchern und Rosamunde Pilcher bereitete sich auf ihre schwer verdauliche Existenz vor.
Es wäre eines harten Tages Arbeit, Wildes Opus sauber von diesen Successoren in der sogenannten leichten Muse zu trennen. Das Attribut „leicht“ bezeichnet bei dieser göttlichen Dame eben oftmals nicht nur die Eigenschaft „unbeschwert“.
Dennoch – diese Arbeit wäre nicht umsonst. Wildes Werke haben trotz allem oberflächlichen Hang zur Herz-Schmerz-Expression Tiefgang, beinhalten durchaus sozialkritische Aspekte (obschon aus Wilde nie ein schreibender Zille hätte werden können), und zeichnen sich vor allem durch eines aus: Stil! Stil, Stil und nochmals Stil!
Und ebendiesen Stil vermochte Frau Siegl mit Bravour aufzunehmen und in Stimme und Gestik zum Bestandteil ihres Vortrages zu machen. Welche Kunst dahinter steckt, eröffnet sich dem kritischen Geist in dem Augenblicke, in dem er sich zu gegenwärtigen sucht, mit welchem Erfolg er selbst eine solche Aufgabe zu meistern verstünde. Der Applaus war verdient. Keine Frage!
Der Applaus aber führt uns noch einmal auf die wundervolle musikalische Begleitung durch die beiden Solisten der Brandenburger Symphoniker. Ach, Frau Sänger, wenn Sie den Bogen über ihre Geige streichen, wenn der Herr Köhler dazu sein Cello traktiert – das alleine schon hätte den Besuch der Lesung gerechtfertigt! Da knausern die Symphoniker nicht, da bieten sie dem Publikum ihre Preziosen dar! Musik! Und so schöne! Wenn die beiden Musiker auf den Beifall ähnlich gelauscht haben, wie die Zuhörer auf die Musik, dann kann ihnen nicht entgangen sein, welche Wertschätzung ihr Spiel erfuhr. Mir kam beim Hören dieser Musik Wildes berühmter Ausspruch in den Sinn: „Umgebt mich mit Luxus – auf alles Notwendige kann ich verzichten!“
Der Kulturressort-Leiter des Landboten, Herr Bajun, ist sehr stolz darauf, den lexikalischen Beitrag in der Wikipedia zum schönsten Dom der Welt verfaßt zu haben. Nun kann er den Artikel um eine hervorzuhebende Besonderheit erweitern: Sowohl der Dom als auch seine Nebengebäude beherbergen neben ihren musealen Schätzen eine lebendige Kulturentfaltung, nicht zuletzt dank der Reihe „Erlesener Dom“ des Brandenburger Theaters.

 
B
4. Volumen
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