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Siegfried und die Sagentöter –
eine moderne cineastische Umsetzung des deutschen Nationalepos

K. K. Bajun
Das Nibelungenlied – was war das doch gleich? Da war doch mal was, in der Schule, lang, lang ist’s her. Kriemhild, Hagen, Siegfried, Drachenblut – irgendwie bekommen viele Zeitgenossen das alles nicht mehr auf die Reihe. Wie gut, daß der Fernsehkanal SAT 1 am 29. und am 30. November 2004 das „TV-Event des Jahres“ ins Programm aufgenommen hat und den vergeßlichen, den ignoranten Deutschen ihre Kernsage wieder ins Gedächtnis zurückbringt.
Es tut ja auch wirklich not. Mein sechzehnjähriger Sohn hat den Namen Siegfried noch nie gehört – von den Nibelungen weiß er nichts. Können Sie sich vorstellen, daß einem gleichaltrigen Franzosen der Name Rolands ebenfalls unbekannt ist, oder der Jeanne d’Arcs? Ich kann es nicht. Denn unsere westfränkischen Vettern bewahren sich zwei Fundamentsäulen einer gesunden Nationalität: Ihre schöne Sprache und ihr nationales, literarisches Kulturgut – angefangen vom Rolandslied bis zu Corneille, Balzac, Dumas.
Hierzulande? Totentanz! Die Sprache verkommt…neulich erst forderte ein Subalterner aus einem Kultusministerium mehr Sprachkompetenz für die nachwachsenden Stotterer und meinte, er habe sich diesbezüglich mit mehreren Vorschlägen an seinen Dienstherrn „gewendet“. Niemandem im ganzen Zuschauerraum des Fernsehstudios fiel das ungeheuer lächerliche Paradoxon des Augenblicks auf: Als der Sprachbeauftragte des nämlichen Morgens noch mal sein Hemde linksrum übergebügelt hatte, mochte er es vorher „gewendet“ haben – an seinen Minister hat er sich mit Sicherheit „gewandt“. Uns so hätte sein erster eingereichter Vorschlag lauten müssen: „Ich verpflichte mich, die Sprache, die ich zu fördern gedenke, erst einmal selbst zu lernen, ehe ich für die Verbreitung eines solchen Schwachsinns einen Haufen Geld kassiere!“
Verstehen Sie nun, von welch exorbitantem Verfall die deutsche Sprachkultur betroffen ist, zu deren zentralen Bereichen auch solch gewaltige Epen aus der Frühzeit der deutschsprachigen Aufzeichnung gehören?
Und nun das! Nichts gegen die Produzenten. Sie haben sich ja alle Mühe gegeben, dem Stoff gerecht zu werden. Mit allen Mitteln, die der modernen Filmindustrie zu Gebote stehen. Der Drache sah echt aus, Donnerwetter! Doch die Drehbuchautoren mögen in der Illiteraten- Hölle schmoren! Die Ewige Umnachtung sei ihr Erbteil!
So viel Stuß auf einen Haufen. Das ist einfach zuviel!
Ich rede nicht von gotischen Wasserspeiern in der Totale, die ein zeitlicher Abgrund von beinahe 800 Jahren von den Geschehnissen um Gunther, Siegfried und Kriemhild trennt. Denn es ist ja erwiesen, daß der Sage einige Geschehnisse an den Höfen der Merowinger zugrunde liegen. Ritter, so was gab es zu dieser Zeit noch nicht! Aber lassen wir solche Kleinigkeiten.
Dieses gewaltige Epos trifft eine Grundaussage – und es ist zum Nationalepos der Deutschen geworden, die zum Zeitpunkt der Handlung noch lange, lange nicht existierten, weil diese Grundaussage den Charakter dieses Volkes so einmalig beschreibt – zerrissen in einem Spannungsfeld zwischen der Sehnsucht nach Stärke, Loyalität, Ehrenhaftigkeit und Glanz einerseits und dem immerwährenden Verbrechen aus falsch interpretierter Nibelungentreue andererseits. Den Verbrechen an sich selbst, den Verbrechen am Nachbarn.
Was blieb von dieser Aussage übrig? Nichts! Gar nichts! Ein Hollywood- Schinken wurde uns serviert – so ganz im Geiste der Zeit, voller Political Correctness: Siggi, der sein Weib nach deren eigener Aussage ihrer Geschwätzigkeit wegen krumm und lahm gedroschen hat, und zwar zur damaligen Zeit völlig im Übereinklang mit den herrschenden Sitten, Gebräuchen und Moralvorstellungen – mutiert vor unseren erschütterten Augen zu einem schmalzigen Softie. Es wir einem speiübel.
Hagen, der treueste Gefolgsmann aller Zeiten – ermordet zum Schluß aus lauter Gier nach schnödem Mammon noch König Gunther, seinen Chef, wird seinerseits von Brunhild geköpft – nicht von Kriemhild an Etzels Hof; ach ja, der Zug der Burgunder und der Nibelungen die Donau hinab zu Kriemhilds zweitem Manne fällt gänzlich unter den Tisch. Wo bleiben die Donaunixen und der Geist Markgraf Rüdigers, die Hagen von Tronje das Schicksal der Reisenden orakeln, um sie vielleicht doch noch zur Umkehr zu bewegen? Wie enorm wichtig für das Lied ist doch gerade diese Episode, die einen der Großen des Reiches seinen Untergang für gewiß voraussehen läßt und der dennoch nicht zögert, diesen Weg zu beschreiten.
Hohlbein hatte sich dem Thema auf ganz ausgezeichnete Weise genähert. Ähnlich, wie Max Frisch mit seinem „Wilhelm Tell für die Schule“. Hagen war das Sinnbild für Loyalität, Aufrichtigkeit und Vasallentreue. Nie wäre ihm auch nur der Gedanke gekommen, seinen Lehnsherren auch nur ein Haar zu krümmen. Für ihn hätte er sich in Stücke reißen lassen. Gerade ging er seinen vorbezeichneten Weg. Natürlich wird er als der dunkle, der finstere Gegenspieler unserer nationalen Lichtgestalt Siegfried gezeichnet. Und der junge Königssohn aus Xanten, der gleich Baldur letztendlich von seinem blinden Bruder Hödur mit einem Mistelpfeil erschossen wird? War er nicht eventuell doch der kraftstrotzende junge Königssohn aus Xanten, der Usurpator, der von Ambitionen auf den Wormser Thron getrieben wurde. Der rücksichtslose Machtmensch, der sogar seine Liebe zu der Wotanstochter und Walküre Brunhild von Island verriet, um sich durch eine Heirat mit der burgundischen Prinzessin Kriemhild in die Thronfolge einzuschleichen. Denn seine Eltern waren keineswegs tot, wie uns der Film weismachen wollte. Siegfried ein wenig kritischer zu hinterleuchten wäre dem Streifen erlaubt gewesen. Aber uns diesen Blödsinn aufzutischen! Schon die dargebotene Biographie des Prinzen von Xanten: Findelkind, Schmiedesohn, Erik der Schmied, der seinen Balmung aus Meteoritenerz selbst schmiedet – ja, was denn noch alles?
Und dann der Schrott mit Fafners Gold: Den Nibelungen, irgendwelchen neblig-schemenhaften Geistkriegern, soll’s gehört haben, der Drache Fafner hätte es geraubt, mit einem Fluch sei es behaftet gewesen, wer hat sich nur all diesen Mist ausgedacht?
Fafner und sein Bruder Regin hatten den Schatz von Wotan, Hödur und Loki als Wergeldzahlung erhalten. Ortr nämlich, Fafners und Regins Vater, war von den Asen erschlagen worden. Fafner betrog lediglich seinen Bruder um dessen Anteil, so daß Regin Sigurd (Siegfried) aufhetzte, Fafner zu erschlagen. Und wie das vor sich ging, dramatisiert der Film unzulässig. Fafner wurde von dem jungen Recken keineswegs herausgefordert oder provoziert. Siggi lag von Anfang an in einem Hinterhalt, einer Grube, die der Drache auf dem Weg überquerte. Der Drache wollte saufen, schlurfte zum Fluß, kroch dabei über die tückische Grube, ahnte nichts Böses und bekam plötzlich ein Schwert ins Drachenherz. So war’s gewesen.
Aber man muß ja an die Zuschauer denken. Denen muß ’was geboten werden. Und zwar etwas, was sie sehen wollen. Und was wollen sie sehen? Blut, Gewalt, Sex und nochmals Blut! Ohne Rücksicht auf Verluste!
Literaturhistorische Phantastereien, daß irgendwelche sächsischen Zwillingskönige Burgund bedroht hätten, entbehren gleichfalls jeder Grundlage. Lüdeger und Lüdegast waren dänische und sächsische Könige, die sich verbündeten. Kann man das nicht so zum Ausdruck bringen? Warum dieses Dazugeschmiere, wo es doch weder von der Dramaturgie her, noch von den filmischen Gegebenheiten einen nachvollziehbaren Grund dazu gab?
Ähnlich der Schwachsinn um die Freiung auf Island. Dort wurde keineswegs mit einer Doppelaxt aufeinander eingedroschen um hernach gemeinsam einen Wasserfall hinunterzustürzen. Eher fand eine Art Kreisspartakiade statt: Steineweitwurf, Speerweitwurf und ähnliches. Doch das ist ja nicht spektakulär genug!
Es gab noch einige dieser Ungereimtheiten. Es lohnt nicht, ihnen im Einzelnen nachzugehen.
Was blieb unterm Strich? Ein drittklassiger Ritterschinken ohne Seele, Herz und Verstand. Man sollte ihn einmal gesehen haben. Aber man kann es ruhigen Gewissens bei diesem einen Male belassen.

B 2. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2004